Aktuelle Medienumbrüche verlangen nach Kommunikation innerhalb von Expertenkreisen, die von diesen Entwicklungen berührt werden. Dass die Digitalisierung zumindest die technische Seite der Filmherstellung und -vermarktung neu modelliert, wird inzwischen nicht mehr angezweifelt. Sie ist in jüngsten Publikationen – etwa in Aufstieg und Untergang des Tonfilms. Die Zukunft des Kinos: 24p?, Berlin 2001 [siehe FILMBLATT 19/20, S. 125-128] – in den Kontext von Technologieschüben gestellt worden, die in steter Folge auf den Film einwirken. Solche komplexen Darstellungen tragen zur Versachlichung einer bisweilen euphorisch geführten Debatte bei – ein Anliegen, dem sich auch die in Trier und Luxemburg veranstaltete Fachtagung „Celluloid Goes Digital“ verpflichtet fühlte.
Thema war der gegenwärtige Stand von Filmeditionen auf DVD und im Internet. Es erwies sich als kluge Entscheidung, die Diskussion auf diesen wesentlichen und öffentlich wahrnehmbaren Aspekt des Medienwandels zu konzentrieren, da so auch Fragen nach dem Einsatz der Formatvorzüge aufgeworfen wurden: denn obwohl die DVD Verknüpfungen von Bewegtbildern, Texten und Kontexten bei hoher Speicherkapazität zulässt, wird sie gegenwärtig meist nur als reines Abspielmedium eingesetzt.
Sinnvoll auch die Referentenauswahl: Produzenten von Filmklassiker-Editionen auf DVD, Medienwissenschaftler aus Forschung und Lehre sowie Vertreter von Filmarchiven und Einrichtungen der Wissensvermittlung stellten ihre Konzepte des Digital Publishing vor. Die Vorträge führten in aktuelle Projekte ein und zeigten dabei sowohl die Bandbreite „historisch-kritischer DVD-Editionen“ wie auch die Grenzen der DVD in der filmarchivalischen und universitären Praxis. Die DVD ist als Format für den „usual consumer“ konzipiert und wird es wohl in erster Linie auch bleiben.
David Shepard (Film Preservation Associates) und Robert Fischer (Criterion Collection) als Vertreter der merkantil kalkulierenden DVD-Hersteller lobten ihre Ausgaben von Filmklassikern als vorbildliche historisch-kritische Editionen. Die als Werbepräsentation ihrer Unternehmen angelegten Referate konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der DVD zwar eine höhere Bild- und Tonqualität ins Heimkino Einzug gehalten hat und Bonusmaterialien wie Outtakes, Slideshows usw. die Zugänge zum jeweiligen Film erweitern, viele Möglichkeiten wie z.B. Verknüpfungen jedoch ungenutzt bleiben. Auch die Editionspraxis bleibt weiterhin werk- bzw. autorenzentriert. Die Ausführungen von Janet Bergstrom (USA), die von ihren negativen Erfahrungen bei der digitalen Veröffentlichung von Murnaus TABU (1931) – 2002 bei Milestone auf DVD erschienen – berichtete, unterstrichen die Nichtvereinbarkeit von wissenschaftlicher Genauigkeit mit den kommerziellen Strategien der großen Label.
Jan-Christopher Horak (Hollywood Entertainment Museum) vertrat im Kontext des Widerspruchs zwischen der Publizität von historischen Filmen für ein breites Publikum und des Anspruchs der Medienwissenschaft an kritische Editionen die These, dass DVD-Veröffentlichungen sich stets auf Highlights konzentrierten, Filmgeschichte in die Abhängigkeit von ökonomischen Interessen gerate und somit ein immer engerer Blick auf die Historie des Bewegtbildes entstehe. Martin Koerber (Filmmuseum Berlin – Deutsche Kinemathek) warf in diesem Zusammenhang die Frage auf, inwieweit Wissenschaftler Filmgeschichte auf DVD überhaupt beeinflussen können.
Horaks pessimistischer Sicht standen die Erfahrungen von Archiven gegenüber, die DVD und andere Medien wie CD-ROM und Internet pragmatisch nutzen, um ihre jenseits des etablierten Kanons angesiedelten Filme stärker in die Öffentlichkeit zu bringen. Hillel Tryster stellte die Online-Präsentation des Steven Spielberg Jewish Film Archive vor, einer komplexen und benutzerfreundlichen Datenbank mit Filmclips, mit der es nicht nur gelang, Filme zur jüdischen Geschichte zu popularisieren, sondern mit der auch bisher verschollen geglaubte Filme und Sekundärtexte gefunden werden konnten. Anhand eines spezifischen Sammlungsbestands im South East Film and Video Archive Brighton – regional entstandene Amateur- und Familienfilme – wies Ine van Dooren auf die Eignung digitaler Bildspeicher hin, um die nur sehr kostspielig auf Zelluloid kopierbaren Aufnahmen zu publizieren. Insgesamt bestand allerdings der Konsens, dass die DVD für die Langzeitsicherung von Filmmaterial nicht in Frage komme und DVD-Veröffentlichungen, die außerhalb des „Klassiker-Kanons“ angesiedelt sind, immer nur Nischen innerhalb des Medienmarktes ausfüllen werden.
Vertreter von Hochschulen und Universitäten weiteten den Grundlagendiskurs zum Terminus „historisch-kritische Edition“ auf die elektronischen Träger aus bzw. beschrieben die DVD als Teil eines umfassenderen Medienwandels. Sachlich und fundiert fächerte Kurt Gärtner, Professor für Ältere Deutsche Philologie an der Universität Trier, die philologischen Anforderungen an digitale Quellenpublikationen auf und schlug eine interdisziplinäre Kooperation zwischen „Bild-“ und Textwissenschaften vor. Vor allem aber mahnte er eine akademische Genauigkeit in der Editionspraxis an. Andrej Gwózdz von der Universität Katowice sah die DVD als Zwischenspiel des Films im Aufgehen in die elektronischen Medien. Der Träger sei durch zwei Verwendungstendenzen geprägt: Zum einen würden Filme weiter vermarktet (Home Entertainment), andererseits sei die DVD durch ihre Möglichkeiten der Inhaltsvernetzung zum Wissensmedium über andere Medien prädestiniert. Auch Ursula von Keitz (Universität Zürich) stimmte dieser Differenzierung zu. Tatsächlich ließen sich auf der Konferenz Vertreter beider Anwendergruppen recht klar voneinander unterscheiden. Aufgrund der teilweise realisierten kreativen Synthese von technischer Innovation und inhaltlich-thematischer Strukturierung wurde digitalen Editionen, die im Kontext von Forschung und Lehre entstanden, das größere Interesse entgegengebracht.
Regine Tersteegen demonstrierte anhand einer zweiteiligen didaktischen DVD zur deutsch-deutschen Teilung 1946-49 die Bemühungen des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU), Geschichtsdarstellungen vom belehrenden Gestus zu befreien, die Dokumente selbst sprechen zu lassen und so Alternativen zum Kompilationsfilm aufzuzeigen. Die Edition bietet Wochenschausujets des DEFA-AUGENZEUGEN und von WELT IM FILM zur parallelen Ansicht und offeriert thematische Verknüpfungen. So können beispielsweise die Berichte über die Wahl von Wilhelm Pieck und Konrad Adenauer in den Ost- und Westmedien unmittelbar miteinander verglichen werden. Allerdings musste Tersteegen zugeben, dass die DVD im Unterricht bisher kaum benutzt wird bzw. Ergebnisse ihrer Erprobung noch nicht vorliegen.
Hier wird ein Dilemma sichtbar: öffentliche Institutionen und ihre Folgeeinrichtungen, die das Medium innovativ einsetzen könnten, leiden meist unter chronischem Finanzmangel, nicht zuletzte einer mangelhaften Ausstattung mit DVD-Abspielgeräten. Erschwerend auch die – so Tersteegen – hohen Urheberrechtsgebühren für historisches Filmmaterial, die selbst Bundes- und Landesarchive nichtkommerziellen Nutzern abverlangen (eine Aufgabe für die neue Kulturstaatsministerin, diesem Übel abzuhelfen).
Die IWF Wissen und Medien GmbH (vormals Institut für den Wissenschaftlichen Film), die seit den siebziger Jahren kritische Editionen zur Zeitgeschichte in der Kombination Film und Begleitheft herausgibt, sieht einen Schwerpunkt des Einsatzes elektronischer Medien in der Online-Recherche ihres Filmangebots. Im Internet-Portal „IWFcontentport“ werden IWF-Filme sequenziert bzw. dokumentiert und damit nutzerfreundlich präsentiert. Auch das EU-Projekt COLLATE, das Zensurdokumente und andere Kontextmaterialien zu Filmen aus Tschechien, Österreich und Deutschland zwischen 1920-1938 erfasst, indexiert und digitalisiert, entschied sich für das Internet als Publikationsort. Diese Präsentationen verdeutlichten noch einmal, dass die DVD nur ein Teil eines Verbundes digitaler Medien ist und nicht nur Vorteile mit sich bringt. So ist sie zur Dokumentation von „work-in-progress“ prinzipiell ungeeignet, während hier das Internet sowohl Aktualisierungen als auch Kommunikation ermöglicht. Für COLLATE etwa war es wichtig, das Konzept eines „collaboratories“ (die Verschmelzung der Begriffe collaboration und laboratory), also eines virtuellen Zentrums der Interaktion und des Datenaustausches zwischen Wissenschaftlern zu verfolgen.
Im Tagungsverlauf zeigte sich zudem, dass die DVD auf ihrer momentanen Technologiestufe im Gegensatz zur CD-ROM für die Publikation von (Film)Datenbanken und hoch kontextualisierender Inhalte nicht geeignet ist, da auf ihr keine variablen Zuschalt- und Verknüpfungspunkte programmiert werden können. So muss eine benutzte Sektion immer erst geschlossen werden, um eine andere zu starten. Werden dennoch thematische Abteilungen integriert, setzt dies eine autonome Speicherung (z.B. von zuvor ausgewählten Filmausschnitten) voraus. So war es nur folgerichtig, dass alle vorgestellten Projekte, die eigentlich die Erwartungen an eine multifunktionale DVD demonstrieren sollten, auf CD-ROM ediert sind, wobei die Autoren Abstriche bei der Bildqualität und beim Speichervolumen in Kauf genommen haben.
Sowohl die von Karl Sierek mit Studierenden der Medienwissenschaft an der Universität Jena entwickelte CD-ROM „Wie Ninette zu ihrem Ausgang kam“ als auch die von Intertexts Multimedia Los Angeles und Yuri Tsivian kreierte CD „Immaterial Bodies. A Cultural Anatomy of Early Russian Films“ verwenden die Struktur einer Datenbank und kombinieren sie mit Pfadangeboten an den Nutzer, aus dem Thema abgeleitete Interpretationslinien zu verfolgen (Learning-Pool). Ebenen der rein filmimmanenten Beschreibung und Analyse werden dabei verlassen. [vgl. den Beitrag von Patrick Vonderau in: FILMBLATT 19/20, besonders S. 69 f] Ähnlich der didaktischen DVD zur deutschen Nachkriegsgeschichte, doch auf einer weit höheren Ebene, wird das Bewegtbild als Referenzmedium für kultur- und stilgeschichtliche Sachverhalte eingesetzt, so wie es Patrick Vonderau (Universität der Künste Berlin) als Standard für historisch-kritische Publikationen forderte. Die Hypertext-Editionen sind dabei konsequent auf die universitäre Praxis zugeschnitten: Tsivians CD-ROM lässt sich etwa in zehn Sektionen einteilen, die einer Seminarstruktur entsprechen und bietet Speicher- sowie Editierfunktionen für die Studierenden. Beide inhaltlich und formal überzeugenden Projekte wurden mit Fördergeldern finanziert, die bei einer seriellen Nutzung der Methode nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Da sich die Programmierleistungen und der Rechercheaufwand bei jedem neuen CD-ROM-Vorhaben dieser Güte kaum senken lassen, dürften die beiden Ausgaben einsame Glanzlichter im Wald des digitalen Medienmarktes bleiben.
Die von Rüdiger Steinmetz (Universität Leipzig) vorgestellte DVD zur Film- und Fernsehästhetik konnte die hohen Erwartungen dagegen nicht erfüllen. Einerseits schwelgte das Referat zu sehr in allgemeinen Formulierungen, zum anderen zeigte die DVD gravierende inhaltliche und strukturelle Mängel, so dass sie das Potential digitaler Datenverarbeitung ad absurdum führte. Denn welchen Sinn hat eine kostspielige DVD-Herstellung, wenn die Filmsequenzen nur in VHS-Qualität vorliegen (das Senderlogo der Fernsehanstalten wurde dabei einfach wegradiert) und die Edition wie ein eindimensionaler Lehrfilm zur Filmdramaturgie aus den sechziger Jahren daherkommt, deren „Vorzug“ allein darin besteht, die Akteinteilung verändern zu können? Ebenso verrieten Mixturen aus deutsch-englischen Bezeichnungen und einige sprachliche Stilblüten – in der Diskussion benutzte Steinmetz etwa den Ausdruck „Over-Voice-Kommentar“ – Unsicherheiten beim Gebrauch von Fachtermini. Eine kreative Auswertung schon bestehender elektronischer Medien zur Filmanalyse („SOFIA“, www.imperica.com und die CD-ROM THE REBECCA PROJECT, 1995) blieb außen vor. Das Leipziger Projekt kann als Lehrstück dafür genommen werden, was bei einer wissenschaftlichen Edition zu vermeiden ist.
Nicht zuletzt diese Präsentation trug zu einer allenfalls gedämpften Euphorie gegenüber digitalen Wissensvermittlungen bei. Stellungnahmen von Thomas Meder (Universität Mainz) und Harald Pulch (Fachhochschule Mainz, Institut für Mediengestaltung) verstärkten diesen Eindruck. Meder warnte davor, die Hypertexte elektronischer Medien als Universalgedächtnis zu begreifen. Dies würde die Forschungsperspektive einengen und das Spektrum wissenschaftlicher Theoriebildung gefährden. Pulch plädierte dafür, Studierenden die Lust an eigenen Archiventdeckungen zu bewahren. Auch deshalb dürften digitale Veröffentlichungen nicht als Konsensmaterial zur Filmgeschichte aufgefasst werden.
Die Emanzipation der DVD als Träger historisch-kritischer Editionen wird sich in Abhängigkeit von technischen Verbesserungen, durchdachten, auf das Medium zugeschnittenen Konzepten (die Chronologien von Inhaltsverzeichnissen verlassen) und der Herausbildung spezifischer Zielgruppen entwickeln. Trotz unterschiedlicher Positionen herrschte eine aufgeschlossene Tagungsatmosphäre, die nicht zuletzt auf das umsichtige und professionelle Konferenzmanagement zurückzuführen war. Alle Beiträge erscheinen demnächst in der Reihe „Filmgeschichte International“ der Cinémathèque Municipale de Luxemburg.
(Ralf Forster)