DER LETZTE MANN (1924, R: F. W. Murnau) (Top 100, Platz 20)
1.1983: Berndt Heller
Kurzbericht: „Einige Szenen wurden umgestellt (…) und es wurden die ursprünglich vorhandenen Zwischentexte wieder eingefügt.“ (Bernward Halbscheffel: Ein unbekannter Stummfilm. In: Der Tagesspiegel, 30.8.1983)
Format: 16mm
Aufführung: Internationale Grenzlandfilmtage, Selb (6.-10.4.1983); Ende August 1983, Ufer-Palast, Berlin. Berndt Heller dirigierte die Musik von Giuseppe Becce (Klavier und Geige)
Literatur: Text des aufgefundenen Zwischentitelnegativs zu Der letzte Mann, eingesetzt als Muster in 16mm Kopie. In: Die Information. Deutsches Institut für Filmkunde, Nr. 1-3, 1979, S. XVII-XVIII. – Berndt Heller: Die Wiederentdeckung der Musik zu Murnaus Letztem Mann. In: epd Kirche und Film, Nr. 6, Juni 1983, S. 27-30 – Musik und darstellende Kunst. 3. Rekonstruktion einer Filmmusik (1985, Bildung in N3, L: 25‘).
2.1983: Filmmuseum München
Kurzbericht: Keine eigentliche Restaurierung. In München hatte man in einer einzigen Kopie die Fassung der Cinémathèque Suisse (bessere Bildqualität, aber unvollständig) mit dem Material des Bundesarchivs (schlechte Bildqualität, aber vollständiger) zusammengebracht und die Vorspann- sowie den einen Zwischentitel ergänzt. (Hinweis von Enno Patalas)
Format: 35mm, s/w, 1945 m (= ca. 85‘ bei 20 Bilder/Sekunde; ca. 94‘ bei 18 Bilder/Sekunde)
TV-Erstsendung: 22.1.1984, ZDF (Sepia-Tönung, L: 100‘ 51“), Redaktion: Gerd Luft, Jürgen Labenski. Musik: Giuseppe Becce und Werner Schmidt-Boelcke, der auch das Sinfonie-Orchester Graunke dirigierte.
3.2002: Luciano Berriatua im Auftrag der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. In Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, der Cinémathèque Suisse, Lausanne und dem Museum of Modern Art, New York. „Restaurierte Fassung mit neuer Musik“.
Musik: Originalmusik von Giuseppe Becce, Musik (2002) von Detlev Glanert. „Die Neubearbeitung der Originalmusik und ihre Einspielung entstand in Koproduktion von ZDF/ARTE, dem Saarländischen Rundfunk und dem Deutschen Institut für Filmkunde.“
Kopierwerk: L‘Immagine Ritrovata, Bologna.
Format: 35mm, s/w, 2018 m (= ca. 88‘ bei 20 Bilder/Sekunde)
Restaurierungsberichte: Zur Musik. In: Friedrich Wilhelm Murnau. [Presseinformation]. Hg.: ARTE 2003, S. 17-20 – Luciano Berriatua und Camille Blot: Zur Restaurierung des Films. In: Ebenda, S. 21. – http://www.filmmuseum-berlin.de/fwmurnau/retro.htm
Uraufführung: 8.2.2003, Berlin (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, im Rahmen der Berlinale)
Deutsche und französische TV-Erstausstrahlung: 25.4.2003, ARTE (L: 89‘09“)
Die Restaurierungsberichte von Luciano Berriatua beschreiben die Ausgangsbasis seiner filmrestauratorischen Arbeit, die im wesentlichen „Nitromaterialien des Originalnegativs oder Kopien der ersten Generation“ auf der Basis ihrer präzisen Identifizierung – etwa als „vermischte Negative“ – benutzte. So konnten „die beiden Originalnegative rekonstruiert werden, die für die Auswertung in Deutschland und für den Export vorgesehen waren.“ Daneben gab es noch ein drittes Originalnegativ, das ebenfalls für den Export bestimmt war. Ausweislich der veröffentlichten Berichte konnte Luciano Berriatua aber offenbar keine bisher unbekannten Szenen auffinden. Das Resultat der Restaurierungen – sowohl die deutsche als auch die amerikanische Fassung wurden restauriert – ist beachtlich, insbesondere was die Bildqualität angeht: Brillanz, Schärfe und Zeichnung überzeugen.
Restaurierungsberichte sollten aber noch präziser ausfallen: Insbesondere muss die Auseinandersetzung mit früheren Restaurierungen gesucht und dokumentiert werden. So nehmen die Berichte dieser restaurierten Ausgabe weder Bezug auf die ZDF-Fassung von 1983, die ebenfalls mit einer Bearbeitung von Becces Originalmusik aufwartete (im ARTE-Presseheft liest man, die Musik sei seit der Stummfilmzeit nie wieder in einer größeren Orchesterbesetzung aufgeführt worden), noch auf die damals benutzte Kopie aus dem Filmmuseum München. Auch der 1983 von Berndt Heller unternommene Versuch, die Zwischentitel der zweiten deutschen Fassung in eine 16mm-Kopie einzubauen, wird nicht diskutiert.
Dazu eine grundsätzlichere Bemerkung. Es wird nicht klar, welche Version der deutschen Fassung von DER LETZTE MANN Luciano Berriatua tatsächlich restauriert hat. Das wäre kein Problem, hätte es nicht, wie bei METROPOLIS, zwei deutsche Fassungen gegeben:
1) Erstzensur am 16.12.1924, 2315 Meter, Jugendverbot (ohne bzw. nur mit einem Zwischentitel; Zulassungskarte verschollen. Maly Delschaft spielt die Nichte des Portiers.)
2) Zweitzensur am 5.1.1925, 2036 Meter, Jugendfrei (mit 19 Zwischentiteln; Zulassungskarte erhalten. Maly Delschaft spielt die Tochter des Portiers.)
Diese zweite Fassung wurde von der zeitgenössischen Kritik durchaus bemerkt: „Eine Attacke gegen den ‚letzten Mann‘“ – so ist eine kleine Notiz überschrieben, die am 18. August 1926 auf der ersten Seite des Film-Kuriers (Nr. 192) erschien. „Im Berliner Theater am Nollendorfplatz wird der „letzte Mann“ nochmals gezeigt. Die Kopie enthält eine Anzahl Titel! Wer ist der Autor? Wer war so geschmacklos, diesen berühmten titellosen Film mit „Kommentaren“ zu versehen?“ Leider hielt es die Ufa nicht für nötig, darauf zu reagieren.
Auf welche dieser beiden Fassungen von Der letzte Mann bezieht sich das rekonstruierte deutsche Originalnegativ? Logischerweise müsste „Original“ die Erstzensur meinen. Berriatua diskutiert dieses Problem aber nicht: Dass die zweite deutsche Fassung um rund 12% kürzer war als das Original, was fehlen könnte, warum die Rolle von Maly Delschaft umgeschrieben wurde, warum der Film jetzt jugendfrei war und Zwischentitel erhielt. [vgl. hierzu FILMBLATT 18, S.50-55]
Sind wirklich keine Informationen über die Originalfassung erhalten? Mir will scheinen, als ob wir mit dieser jetzt vorliegenden „restaurierten deutschen Fassung“ eine dritte deutsche Fassung bekommen haben: Die um die Zwischentitel amputierte Zweitzensur – eine Version, die aller Wahrscheinlichkeit nach in den deutschen Kinos so nie gelaufen ist.
Friedrich Wilhelm Murnau: LE DERNIER DES HOMMES. DVD Pal. Collection Ciné-Club 1999, EDV 1284, Laufzeit: 102 Minuten
Diese französische DVD, ediert von Galeshka Moravioff, herausgegeben unter Mitwirkung des Centre National de la Cinématographie (CNC) und Media II, bringt die 1983 vom ZDF ausgestrahlte Fassung 2.1983; auch hier ist der Film durchgehend sepia eingefärbt.
Die Ausstattung der DVD ist schlicht: Der Film ist in fünf Kapitel unterteilt, man kann französische Untertitel zu den wenigen Texttafeln des Films anwählen, ebenso zwei Seiten „Filmografie“. Dennoch eine wichtige Edition, vor allem wegen der von Werner Schmidt-Boelcke arrangierten Becce-Musik.
Friedrich Wilhelm Murnau: THE LAST LAUGH. DVD NTSC. Region Worldwide. Kino on Video 2001, K206. Featuring a score by Timothy Brock. Produced vor Video by David Shepard. Laufzeit: 91 Minuten, s/w, Stereo. DVD release date: 5 June 2001.
Die Edition geht offenbar zurück auf die 1993 von Criterion herausgegebene Laserdisc (Produktion: David Shepard). Ausgangsmaterial war, laut Cover, ein nicht näher bezeichnetes 35mm-Negativ. Am oberen Bildrand stört ständig ein mitkopierter Bildstrich.
Die DVD enthält keineswegs, wie der Titel nahe legt, die für den amerikanischen Markt hergestellte Fassung THE LAST LAUGH, sondern offenbar eine Kombination verschiedener Ausgangsmaterialien.
Der Haupttitel ist in Deutsch, wie auch in Fassung 2.1983, aber ohne den in 3.2002 aufgenommen Vorspruch („Heute bist du der Erste….“). In Deutsch auch die beiden letzten Zeitungsausschnitte, die das Nachspiel einleiten. Auf Englisch dagegen die Schrift, die Maly Delschaft auf die Hochzeitstorte aufbringt, das Entlassungsschreiben und die erste Zeitungsnotiz. Wie sich dieses Material zu den von Berriatua ermittelten drei Ausgangsnegativen verhält, kann hier nicht beurteilt werden.
Diese Fassung enthält jene Hinterhofszene, in der die Hauswartsfrau die letzte Gaslaterne löscht und der Beleuchter das Licht zu spät ausschaltet: Eine misslungene Einstellung, die Berriatua in seinem Bonusfeature der Transit-DVD (siehe weiter unten) dem dritten Exportnegativ zuschreibt. Bei der Begrüßung des Portiers durch die Hochzeitsgäste in seiner Wohnung ist zudem eine überbelichtete Einstellung der Tante des Bräutigams (mit Kaffeekanne, durch Linsen vervielfacht) eingeschnitten, die logisch erst zur darauf folgenden Sequenz, dem verkaterten Erwachen, gehört.
Auf der DVD findet sich auch ein Ausschnitt aus einer nicht näher bezeichneten deutschen Fassung: Zu sehen ist der deutsche Zwischentitel, der das „glückliche Ende“ ankündigt, sowie drei weitere, im gleichen Schreibstil gehaltene Titel mit dem Inhalt der in den bekannten Fassungen als Zeitungsausschnitte gebrachten Meldungen; die Titel erscheinen zudem negativ.
Literatur: http://www.silentera.com/DVD/lastLaughDVD.html
Friedrich Wilhelm Murnau: DER LETZTE MANN. Restaurierte Fassung mit neuer Musik. DVD Transit Classics – Deluxe Edition 2003, Nr. 4989. Dolby Digital 5.1 & Dolby Digital 2.0 Stereo. Laufzeit: ca. 90 Minuten (bei 20 Bildern/Sekunde). Untertitel und Menüs: Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Bonusfeature von Luciano Berriatua (ca. 40‘), Biografien zu Stab- und Besetzungsmitgliedern.
DVD-Edition der 2002 von Luciano Berriatua im Auftrag der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung hergestellten „restaurierten Fassung mit neuer Musik“. Die gediegene Aufmachung und eine elaborierte Menüführung entsprechen dem Prädikat „Deluxe Edition“.
Beigegeben ist ein achtseitiges Booklet mit Informationen zum Film, zur Restaurierung und zur Musik; enthalten sind auch die Credits zum Film und zur DVD. Hier vermisst man allerdings ausführliche Angaben zur restaurierten Fassung: So findet sich der Hinweis auf deren Länge (nur in Minuten) sowie auf den Dirigenten (Frank Strobel) einzig auf der Rückseite des Schubers, in dem die DVD geliefert wird.
Im Booklet erhält neben Luciano Berriatua nun auch Camille Blot einen Credit für die Filmrestaurierung. Hier erfahren wir auch, dass eine Nitro-Kopie von DER LETZTE MANN, die bis vor wenigen Jahren in der Cinémathèque Suisse lagerte, „auf einem Rücktransport von Frankreich (…) auf mysteriöse Art verschwunden“ ist. Dass Nitro-Filme, die als Gefahrengut unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen verschickt werden, im Geschäftsverkehr zwischen renommierten Kinematheken mysteriös verschwinden, sollte die Fachwelt aufs höchste alarmieren.
Hervorragend gelungen ist das Bonusfeature von Luciano Berriatua, das in seiner Anschaulichkeit kaum etwas zu wünschen übrig lässt, immer die Balance zwischen filmwissenschaftlicher Präzision und Allgemeinverständlichkeit hält und auch deshalb als Musterbeispiel eines „Bonusfeatures“ anzusehen ist. Mit Hilfe von Werbematerial, Standfotos, Skizzen und Filmausschnitten rekonstruiert Berriatua das „Making of“ von Murnaus Klassiker, fast so, als ob er dabei gewesen wäre. Kurios allerdings die wechselnden Bildgrößen in den Interviewpassagen mit Helene Luckow, der Tochter des Filmarchitekten Robert Herlth.
Zur Restaurierung des Films gilt das oben Gesagte. Ergänzend zu den gedruckt vorliegenden Berichten erfahren wir, dass das Exportnegativ (bestimmt für Länder wie Großbritannien, Italien und Spanien) „voller Fehler“ war, die Szenen „generell aus viel zu großem Abstand gefilmt wurden“ und stets „die schlechteren Einstellungen“ benutzt wurden – veranschaulicht wird das immer wieder durch das simultane Abspielen von Szenen aus den drei Fassungen. In der für die USA bestimmten Kopie wollte man „nur die perfektesten Kamerabewegungen zeigen“, um in den „schwierigen amerikanischen Markt“ einzudringen.
Allerdings stellt Berriatua auch eine Szene vor (aus der Traumsequenz), wo für die amerikanische Version der „schwächere Effekt“ ausgewählt wurde. Über die Qualität der deutschen Version in diesem Vergleich der drei Originalnegative erfahren wir wenig: Sie wird vermutlich zwischen den beiden Exportversionen gelegen haben. So gesehen, käme die amerikanische Fassung den künstlerischen Intentionen der Hauptbeteiligten wohl am nächsten; leider ist sie in die vorliegende Edition nicht mit aufgenommen worden.
„Jetzt ist die deutsche Fassung von DER LETZTE MANN in annehmbarer Weise vollständig wiederhergestellt.“ Auch in seinem Feature geht Berriatua nur am Rande auf die beiden deutschen Fassungen ein und sagt nicht, welche der beiden nun wiederhergestellt wurde. Der Hinweis auf die „Vollständigkeit“ kann sich aber nur auf die zweite Zensurfassung (2036 m / restaurierte Fassung: 2018 m) beziehen, allerdings ohne deren Zwischentitel: Die Ufa hätte – so Berriatua – einen Film ohne Titel „nie als kommerziell angesehen“. Im Booklet heißt es hierzu, Murnau habe in Der letzte Mann vollständig auf Zwischentitel verzichtet. Bekannt ist, dass die titellose Originalfassung immerhin einen Titel enthielt, nämlich die Ankündigung des Happy ends. (Vgl. die Kritik in der LichtBildBühne, Nr. 152, 31.12.1924.) Die restaurierte Kopie enthält nun deren zwei, nämlich noch eine Art Memento mori („Heute bist Du der Erste, geachtet von allen, ein Minister, ein General, vielleicht sogar ein Fürst – weißt Du, was Du morgen bist?“), mit dem auch die zweite Fassung (die mit den Zwischentiteln) begann: Auch für die Übernahme dieses zweiten Titels in die Restaurierung hätte man gerne eine Begründung gehört. Von diesen Anmerkungen abgesehen ist diese Edition aber unbedingt zu empfehlen.