Deutsches Filminstitut, Chris Wahl (Hg.): Der Mann mit der leichten Hand. Kurt Hoffmann und seine Filme. München: Belleville Verlag 2010, 232 Seiten, Abb.
ISBN 978-3-936298-50-5, € 19,90
Sammelbände kranken oft am Wechsel der Ansätze und Schreibstile. Die zweite Monografie über den Regisseur Kurt Hoffmann (1910-2001) – nach Ingo Tornows Piroschka und Wunderkinder oder: Von der Vereinbarkeit von Idylle und Satire (München 1990) – ist eine erfreuliche Ausnahme. Offenbar hat Hoffmanns humorvolles Naturell die Autoren einander näher gebracht. Nach einem Grußwort von Liselotte Pulver, Hoffmanns bevorzugter Hauptdarstellerin, beschreibt der Mitherausgeber Chris Wahl zunächst den beruflichen Werdegang des Regisseurs und dokumentiert die Rezeption seiner Filme, die auch in der DDR äußerst wohlwollend aufgenommen wurden.
Rolf Aurich befasst sich mit Hoffmanns Tätigkeit im nationalsozialistischen Film. Dort gelang es dem Sohn des berühmten Kameramanns Carl Hoffmann nicht, ein eigenes Profil zu gewinnen; er galt selbst bei seinen populärsten Filmen PARADIES DER JUNGGESELLEN (1939) und QUAX, DER BRUCHPILOT (1941) nur als Erfüllungsgehilfe des Stars Heinz Rühmann, dem die Autorschaft dieser Filme zugeschrieben wurde. Daran, dass Hoffmann auch nach dem Krieg Melodramen und Kriminalfilme inszeniert hat, erinnert Tim Bergfelder. Die nach wie vor unzureichend erforschte Zeit zwischen Trümmer- und Heimatfilm, in der es keine Regeln und keine zuverlässigen Rezepte zu geben schien, bezeichnet er als „eine Art Forschungslabor des westdeutschen Unterhaltungskinos“ (S. 50). In seiner Analyse des Melodrams DAS VERLORENE GESICHT (1948) geht Bergfelder detailliert auf Gertrud Stecklers Kostüme, den Einfluss der Psychoanalyse und amerikanischer und englischer Filme ein. Bergfelders Aufforderung, die frühen Nachkriegsfilme nicht nach den moralischen Wertmaßstäben von heute zu beurteilen, leistet Evelyn Hampicke demonstrativ nicht Folge. Etwas angestrengt witzig und herablassend verurteilt sie das konservative Frauenbild von TAXI-KITTY (1950). Differenzierter setzt sich Renate Helker mit der Darstellung der Frau im Film der Adenauer-Ära auseinander. An Liselotte Pulver hebt sie hervor, dass sie „dem traumatisierten Mann moralische Wiederaufrüstung zuteil werden ließ“ und dass bei ihr „das Komische als Maskerade einer beschädigten Weiblichkeit sichtbar“ werde (S. 70).
Eine mustergültige Produktions- und Rezeptionsgeschichte plus Filmanalyse der BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL (1957) liefert Michael Wedel, der sich auch mit zeitgenössischen Vorurteilen gegenüber Literaturverfilmungen befasst. Leider erfährt man nicht, wie der Film beim Publikum angekommen ist; in Hans-Peter Reichmanns Vorwort wird er zu Hoffmanns wenigen geschäftlichen Misserfolgen gerechnet. Eine weitere akribisch recherchierte Produktionsgeschichte gilt dem westdeutsch-tschechischen Fernseh-Dreiteiler DAS HAUS IN DER KARPFENGASSE (1965). Christoph Fuchs weist nach, dass dieses stille Holocaustdrama nicht der Rechtfertigungsversuch eines NS-Mitläufers war, sondern dass der Autor der Vorlage, Eugen Hoeflich alias Mosche Ben-Gabriel, und dessen Verleger Otto Hess, ein ehemaliger Zwangsarbeiter, Hoffmann selbst ausgesucht hatten. Interessant wäre es gewesen, etwas über die Rezeption des Films in der Tschechoslowakei zu erfahren.
Die erstaunlichen Subtexte der ersten beiden Spessart-Filme – DAS WIRTSHAUS IM SPESSART (1957) und DAS SPUKSCHLOSS IM SPESSART (1960) – untersucht Tobias Ebbrecht. Da gibt es Anspielungen auf nicht gesühnte NS-Verbrechen und den Satz, „Wo ist nur der verdammte Strauß?“ (S. 109) Gemeint war vordergründig ein entwendeter Blumenstrauß, aber natürlich dachte man an den damaligen Verteidigungsminister. Ebbrecht verurteilt diese Anspielungen als zu frivol und unverbindlich. Mit sehr persönlichen Erinnerungen ist Dominik Grafs Text über Hoffmanns Komödie DAS SCHÖNE ABENTEUER (1959) verbunden. Sein früh verstorbener Vater, der auf schwierige und unangenehme Figuren festgelegte Schauspieler Robert Graf, zeigte sich hier von einer ganz anderen Seite. Auch sonst gefällt ihm der Film, der „herrlich dramaturgisch ineffektiv“ sei und eine „undramaturgische Dramaturgie“ besitze: „Hoffmann erzählt einfach das, wozu er gerade Lust hat.“ (S. 114) Seine Darsteller, in anderen Filmen nicht so glücklich geführt, fänden bei Hoffmann „zu einem besseren Ich“ (S. 118). Um die Vermittlung zwischen Opas bzw. Papas Kino und dem Jungen Deutschen Film bemüht sich Rudolf Worschech. Er würdigt Hoffmanns Spätwerk EIN TAG IST SCHÖNER ALS DER ANDERE (1969) als dessen radikalsten, wenn auch etwas hilflosen Film. Das Porträt einer westdeutschen Familie, mit unbekannten Schauspielern und Laien besetzt, sei ein Vorläufer der heutigen „Dokufiktion“.
Zum Schluss versuchen Fritz Göttler und Chris Wahl, das Wesen von Hoffmanns Filmen auf den Punkt zu bringen. Sie verweisen auf wiederkehrende Motive, bleiben allerdings den Beweis schuldig, dass es sich um spezifisch Hoffmannsche Motive handelt. Göttler erkennt Bezüge zum Film Noir und sogar zum Western, wie er am Beispiel von ICH DENKE OFT AN PRIOSCHKA (1955) zeigt. Für ihn war Hoffmann zudem „sehr viel weniger selbstverliebt und verschnörkelt als […] Käutner, der auch als Filmemacher immer Kabarettist geblieben ist.“ (S. 163) Und Wahl resümiert: „Was manche als bieder und zahnlos empfinden, kann eben auch als angenehm unaufgeregt und geschmackvoll wahrgenommen werden.“ (S. 167) Er verweist auf die renommierten und überraschenden Mitarbeiter des Regisseurs, allen voran Ingmar Bergmans Lieblingskameramann Sven Nykvist. Detailliert geht Wahl auf die Toneffekte ein, auf die Vielzahl von Dialekten. Ingo Tornow zitierend, kritisiert Wahl den verwirrenden und unwissenschaftlichen Gebrauch von Begriffen wie „Ufa-Ästhetik“ und „Nazi-Ästhetik“, zu denen sich eigentlich auch die „Hollywood-Ästhetik“ gesellen müsste. Hoffmann war experimentierfreudig, gebrauchte Jump Cuts und Freeze Frames. Er entwickelte in den 1960er Jahren einen Hang zur „Wiederverwertung und Modifizierung von Motiven […], der Hoffmann fast schon als ‚post-modernen Filmemacher’ erscheinen lässt.“ (S. 187) Den in diesem Buch vernachlässigten Film Noir DER FALL RABANSER (1950) erwähnt Wahl als Vorläufer der Edgar-Wallace-Krimis.
Darüber, wie Hoffmann als Mensch gewesen ist, geben die Interviews Auskunft, die Wahl mit mit Walter Giller, der Standfotografin Li Erben und der Kostümbildnerin Elisabeth Urbancic-Waltz geführt hat, die übrigens die Mutter des Schauspielers Christoph Waltz ist. Giller erwähnt unangenehme Züge des Regisseurs, die man seinen Filmen nicht ansieht, während Urbancic auf einen interessanten Unterschied zu Käutner hinweist. Der habe sich mehr für die Farben und die Ausstattung interessiert, Hoffmann dagegen blickte nur durch das Objektiv der Kamera, um den passenden Bildausschnitt zu wählen.
Von Käutner müsste noch viel mehr die Rede sein in diesem Buch, das wiederholt suggeriert, allein Hoffmann habe im westdeutschen Nachkriegsfilm mit leichter Hand inszeniert. Ein weiteres Manko ist die Bebilderung, die aus konventionellen Stand- und Werkfotos besteht, aber keine Zeugnisse liefert von Hoffmanns präziser mise-en-scène. Die wird allein im Text gewürdigt. Dennoch, verglichen mit anderen Monografien über westdeutsche Regisseure der 1950er Jahre ist dieses Buch eine Glanzleistung. Es entdeckt im Werk dieses bescheidenen Regisseurs eine Tiefe, die er selbst wohl nie beansprucht hätte. (Frank Noack)
Frank Noack ist freier Autor. Seit 1993 verfasst er Filmkritiken (Der Tagesspiegel, Rheinische Post) und biografische Beiträge für das CineGraph-Lexikon (u.a. Manon Hahn, Theo Mackeben, Aribert Mog). Bücher: Veit Harlan. Des Teufels Regisseur (München 2000) und Jannings (München 2011).
Filmblatt 45 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 10.9.2011
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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