Eine Einmaligkeit in der deutsch-deutschen Nachkriegsfilmgeschichte: ein gleicher, authentischer Stoff wurde zeitgleich in einem bundes- und einem ostdeutschen Spielfilm künstlerisch gestaltet.
Ein Medizinstudent wird während des II. Weltkrieges zur Wehrmacht eingezogen und im Lazarett eingesetzt. Er muss als Sanitäter bei den Verwundeten Aufgaben erfüllen, die weit über seinen Studienstand hinausgehen, und er lernt auch, zu operieren. Durch grausame und blutige Praxis wächst er allmählich in „sein“ Gebiet hinein: Chirurgie. Seine Patienten – ein unaufhörlicher Strom von Verwundeten – sehen in ihm nur den Arzt, der helfen kann, helfen will und auch hilft. Die unfreiwillige Täuschung, die für andere jedoch Lebensrettung bedeutet, setzt sich in der Kriegsgefangenschaft nahtlos fort. Nach Hause und in die Normalität heimgekehrt, muss sich der Arzt, der der Sache nach noch Student ist, entscheiden – die schicksalhaften Verstrickungen offen zu legen, um damit Verwechslungen und Schuld zu bekennen und daraus einen Neuanfang zu suchen, der ihn nicht das Gesicht verlieren lässt. Oder alles beim Status quo zu belassen und mit der moralischen Bürde weiterzuleben. Über beiden Alternativen liegt der hohe ethische Anspruch des Berufes.
Der bundesdeutsche Film von Rolf Hansen DIE GROSSE VERSUCHUNG (1952) bettet die Lösung des Arzt-Student-Konflikts in ein Geflecht privater Protektionen und lokaler Intrigen in einem bayrischen Kleinstadtkosmos ein und setzt auf die Besetzung mit den damaligen Stars Dieter Borsche und Ruth Leuwerik. Der ostdeutsche DEFA-Film GENESUNG (1956) von Konrad Wolf verknüpft den Helden und seinen Konflikt mit Schicksalen antifaschistischen Kampfes und dem Grundgestus der frühen DDR eines sozial und menschlich gerechten Neuanfangs.
Nachweislich haben beide Teams nichts vom Projekt des anderen gewusst. Erst durch die Nominierung von Wolfs Film für die Filmfestspiele in Cannes erfuhr Kurt Desch, der Münchner Verleger der Originalstory von Hansens Film, von dem DEFA-Projekt und strengte eine Plagiatsklage an. Aber der GENESUNG-Autor Karl-Georg Egel konnte nachweisen, dass er seine eigene Geschichte erzählt hatte. Die Öffentlichkeiten beider deutscher Staaten erfuhren davon nichts. Beide Filme führten jeweils ihr Eigenleben und erlebten ihre eigene Zuschauerrezeption.
Es gibt bei etlichen Filmen im deutschen Nachkriegskino mancherlei Parallelitäten und Korrespondenzen zwischen Ost und West, in Figurenkonstellationen, Handlungsführung und Filmbildern, aber eine so dichte Nähe und zugleich so grundlegende Unterscheidung wie mit diesen beiden Filmen bleiben einmalig.
DIE GROSSE VERSUCHUNG (BRD 1952, R: Rolf Hansen, Buch: Kurt Heuser nach dem Illustriertenroman Der Erfolgreiche von Hans Kades, D: Dieter Borsche, Ruth Leuwerik, Erich Ponto, Renate Mannhardt), 97’
Ein bayrischer Landrat erkennt in dem Arzt Richard Gerbrandt (Dieter Borsche) seinen ärztlichen Lebensretter aus Krieg und Gefangenschaft und verschafft ihm eine Stellung als Oberarzt im örtlichen Krankenhaus. Gerbrandt arbeitet zu allseitiger Zufriedenheit. Er kann aber über allerlei Misshelligkeiten in der Klinikhierarchie nicht hinwegsehen, und er will nun endlich auch seinen Status in Ordnung bringen. Dazu drängen ihn auch die Konflikte mit anderen Klinikmitarbeitern
GENESUNG (DDR 1956, R: Konrad Wolf, Buch: Konrad Wolf, nach dem gleichnamigen Hörspiel von Karl Georg Egel und Paul Wiens, D: Karla Runkehl, Wolfgang Kieling, Wilhelm Koch-Hooge, Wolfgang Langhoff), 105’
Der „falsche“ Arzt Friedel Walter (Wolfgang Kieling) trifft nach dem Kriege seine Jugendliebe wieder, die illegal am antifaschistischen Widerstandskampf teilgenommen und einen Gelähmten geheiratet hat. Friedel verzichtet auf seine Liebe, gibt seinem Partner neue Kraft und findet selbst zum neuen Anfang, indem er sich dem Gericht stellt.
Kopien: Bundesarchiv-Filmarchiv
Einführung: Günter Agde
Am 5. Oktober 2007, 19.00 und 21.00 Uhr, im Zeughauskino