Der Frühling braucht Zeit (DDR 1965, R: Günter Stahnke, D: Eberhard Mellies, Elfriede Née, Doris Abeßer, Günther Simon, 96’)
Unter den DEFA-Verbotsfilmen jenes berüchtigten SED-Kahlschlag-Plenums 1965 war er der am wenigsten spektakuläre. Als 1989/90 diese Filme an die Öffentlichkeit kamen, blieb er auch der am wenigsten beachtete und wurde kaum nachgespielt. Die SED-Spitze war mit ihm und seinem Team genauso rigide umgegangen wie mit den anderen: Noch im Monat jenes Plenums wurde er ohne Ankündigung nach nur kurzer Laufzeit aus den Kinos genommen, die Kopie im Archiv abgeliefert, Regisseur Günter Stahnke fristlos entlassen (wie Frank Beyer ein halbes Jahr später nach DIE SPUR DER STEINE), sein Drehbuch-Koautor Konrad Schwalbe an der Babelsberger Filmhochschule gemaßregelt. Dabei war der Film eine Art Parteiauftrag von höchster Stelle gewesen: Die Parteikontrollkommission, das höchste und strengste innerparteiliche Kontrollorgan der SED, hatte den Autoren alle Akten eines hochbrisanten Wirtschaftsverbrechens zur Verfügung gestellt. Daraus gestalteten sie einen dramatischen Prozessbericht mit verteilten Rollen, der die Bedeutung des Vergehens im heftigen Widerstreit der Beteiligten spiegelte. Jedoch: Die Filmemacher waren ehrlich genug zu zeigen, dass keiner der Konfliktträger vollkommen falsch oder vollkommen richtig gehandelt, dass keiner wissentlich ein Verbrechen begangen, dass jeder gute Argumente für sein Tun hatte, die der andere jedoch als unangemessen und feindlich ansah. Der 37-jährige Regisseur Günter Stahnke verschärfte die Heftigkeit der Auseinandersetzung durch schroffe, expressionistisch anmutende Arrangements in kühl-sachlichen Interieurs, die einen herben filmischen Reiz ausstrahlten und von den damaligen Erzählkonventionen abwichen. Eine solche Art, enorm zugespitzte Konflikte differenziert und trotzdem mit Sinn für das Persönliche zu gestalten, wurde den SED-Oberen suspekt und führte nach dem Plenum zum Verbot.
Kopie: Bundesarchiv-Filmarchiv
Einführung: Günter Agde (CineGraph Babelsberg)
Zeughauskino, 5. November 2010, 18.30 Uhr + Filmmusem Potsdam, 12. Dezember 2010, Matinee-Vorstellung 11.00 Uhr