Auf mehr als 50 Jahre Filmemachen kann Christian Rischert, der am 9. Dezember 1936 geboren wurde, zurückblicken. In den 1960er Jahren ist er an der Herstellung von mehreren hundert Werbe- und Industriefilmen beteiligt, nebenbei entstehen kurze Spiel- und Dokumentarfilme. Rischert gehörte der informellen Münchner Gruppe an, die schließlich das Oberhausener Manifest initiierte, und war damit am Startschuss für den Neuen Deutschen Film beteiligt. Mit Kopfstand Madam! dreht er 1967 seinen ersten Kinospielfilm. Es folgen allerdings nur wenige weitere Spielfilme, allesamt (selbst)kritisch, reflektiert, nüchtern und mit einem Gespür für die Wirklichkeit. Ab den 1970er Jahren dreht Rischert vor allem für das Fernsehen. Es entstehen lange und teils auch im Kino gezeigte Dokumentarfilme über den Sehnsuchtsort Venedig, den Tod eines Freundes oder internationale Orchester, zukunftsweisende Essens- und Reisedokumentationen in Reihen wie à la carte oder Die Weinmacher. Es sind persönliche Filme, die das Leben feiern, schöngeistig im wahren Sinne des Wortes. Und doch zeigen sie stets auch gesellschaftliche oder zwischenmenschliche Abgründe. „In Rischerts Filmschaffen ist der Spielfilm die Ausnahme, die dokumentarische Annäherung an das, was das Leben ist, aber die Regel.“ (Martin Koerber)
Anlässlich seines 82. Geburtstag widmet CineGraph Babelsberg im Rahmen seiner beiden Filmreihen Wiederentdeckt und FilmDokument dem noch immer viel zu unbekannten Dokumentar- und Spielfilmregisseur ein langes Wochenende. Die Filme von Christian Rischert sind in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen archiviert, der wir für ihre Unterstützung ebenso danken wie Christian Rischert selbst.
Der Tod des Fischers Marc Leblanc (BRD 1976, Christian Rischert)
Im Sommer 1974 möchte Christian Rischert einen Film in der Normandie drehen. Zwei Jahre zuvor war sein Interesse für die Menschen und die Landschaft dieser Region bei Aufnahmen für die Folge La bouffe aus der Reihe à la carte geweckt worden. Freundschaften waren entstanden. Am Tag vor dem Drehbeginn erschießt sich jedoch Rischerts designierte Hauptfigur, der Fischer Marc Leblanc. Das ursprüngliche Filmvorhaben gibt Rischert auf. Stattdessen begibt er sich auf die filmische Spurensuche nach den Beweggründen für den Selbstmord des Freundes, Ehemanns und Familienvaters. Nach und nach entblättert sich in Interviews und zurückhaltenden Bildern ein unerfülltes Leben zwischen unausgesprochenen Erwartungen und der immer härter werdenden Arbeit der kleinen Fischer, die sich in Konkurrenz zu Hochseeflotten und einer zunehmend industrialisierten Fischereiwirtschaft behaupten müssen.
Begrüßung: Martin Koerber / Zu Gast: Christian Rischert
Am Donnerstag, den 6. Dezember 2018, um 20:00 Uhr im Zeughauskino
Il Diavolo – Mein venezianischer Freund (D 2009, Christian Rischert)
„Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“ (Jean Paul) steht am Anfang von Il Diavolo – Mein venezianischer Freund. Zwischen 1977 und 2009 drehte Christian Rischert mehrere Filme in, um und über Venedig. Schon bei seinem ersten filmischen Besuch, bei dem Venedig – Die Insel der Glückseligen am Rande des Untergangs und die à la carte-Folge Paradiesgarten entstanden, lernte er den auf der Lagunen-Insel Burano lebenden Künstler und Fischer Carlo Memo kennen, genannt Il Diavolo. Als Rischert erfährt, dass Memo damit beschäftigt ist, seinen künstlerischen Nachlass an die Stadt Venedig zu übergeben, beschließt er, einen abschließenden Film über den Freund, aber auch über die Stadt, die Lagune und die massiven Veränderungen der vergangenen dreißig Jahre zu drehen. Sein neu gedrehtes Material ergänzt Rischert um zahlreiche Ausschnitte aus seinen früheren Arbeiten, die den Wandel der Orte und Menschen spürbar machen.
Einführung: Ralph Eue
Am Freitag, den 7. Dezember 2018, um 21:00 Uhr im Zeughauskino
Alltag, Lyrik, Krieg – Frühe Kurzfilme von Christian Rischert
Rischerts frühe Kurzfilme verbinden in einer fragilen Balance scheinbar disparate Elemente: dokumentarische Alltagsaufnahmen und fiktionale Passagen, lyrische Subjektivität und einen Drang ins Typologisierende. Maniac, Rischerts erster Kurzfilm mit fiktionalen Elementen, greift eine Urkonstellation des Kalten Krieges auf: ein Spiel gegen die Möglichkeit der Zerstörung der Welt mit einem Elektronengehirn als Gegenspieler. Der Traum unterlegt Beobachtungen am Rande eines wochenendlichen Fußballspiels mit einem reflexiven, literarischen Kommentar über Fußball als Massenphänomen. Friedliche Zeiten und It’s a Wonderful Life sind Etüden auf dem Weg zu Rischerts erstem Langfilm. Sie versuchen eine Gratwanderung zwischen fiktionaler Individualität und gesellschaftlicher Struktur. In Friedliche Zeiten driftet ein Tischgespräch in italienischer Landschaft zu einer Diskussion über den Zweiten Weltkrieg, in It’s a Wonderful Life werden eine junge Frau und ein nicht mehr ganz junger Mann bei der Vorbereitung auf ein Rendezvous mit ihren Rollenerwartungen an sich selbst und den bzw. die andere konfrontiert. Im Dokumentarfilm Einzelhaft in Fuhlsbüttel spricht Rischert mit Insassen und Aufsichtspersonal über den schwierigen Alltag und die Bedingungen in der Haftanstalt Fuhlsbüttel. Mit Dank an das Archiv des SWR.
Einführung: Stefanie Mathilde Frank, Fabian Tietke
Am Samstag, den 8. Dezember 2018, um 18:30 Uhr im Zeughauskino
Von der Lust am Essen – Drei Fernsehfilme von Christian Rischert
Zwischen 1972 und 1982 drehte Christian Rischert zahlreiche Folgen für die Essens- und Reisedokumentationsreihe à la carte des Bayerischen Rundfunks, Ende der 1980er Jahre schließt die 16-teilige Serie Die Weinmacher daran an. Exemplarisch zeigen wir Rischerts Besuch bei Winzern im Friaul und zwei frühe Folgen von à la carte: Im Pilotfilm La Bouffe wohnt Rischert einem ganztägigen bäuerlichen Festmahl unter Freunden in der Normandie bei und begleitet die vorangegangenen Einkäufe und Vorbereitungen. In Der Trüffelsucher reist der Regisseur ins Piemont, um mit einem Wirt auf die Jagd nach den wertvollen Pilzen zu gehen, die für die Einheimischen Alltags-, Handelsgut und Luxuslebensmittel zugleich sind, vor allem, wenn am Wochenende die Städter aus Turin und Mailand einfallen.
Neben dem (mitunter verklärenden) Feiern einer ursprünglich erscheinenden Lebensart in den bundesdeutschen Sehnsuchtsländern Italien und Frankreich ziehen sich durch viele von Rischerts à la carte-Beiträgen Themen, die nichts an Aktualität eingebüßt haben: Es geht um Unterschiede zwischen Stadt- und Landbewohnern (oder von Konsumenten und Erzeugern) hinsichtlich ihres Bewusstseins für den Wert ihrer Nahrung, um die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft, um Regionalität, Saisonalität und einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen.
Einführung: Jürgen Kasten, Frederik Lang
Am Sonntag, den 9. Dezember 2018, um 15:00 Uhr im Zeughauskino