Adrian Gerber: „Eine gediegene Aufklärung und Führung in dieser Materie“. Katholische Filmarbeit in der Schweiz 1908-1972. Fribourg: Academic Press Fribourg 2010 (= Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz; 53), 290 Seiten, Abb.
ISBN 978-3-7278-1668-0, CHF 46,00 / € 32,00
Das Verhältnis der katholischen Kirche zum Medium Film ist weit vielschichtiger, als dies in der breiten Öffentlichkeit angenommen wird. Es geht um mehr als nur die Ablehnung von einzelnen Leinwanddarbietungen, vielmehr hat die konfessionelle Auseinandersetzung mit dem Filmwesen eine lange Tradition und spielt besonders für die Religionspädagogik noch immer eine wesentliche Rolle. Auch deshalb ist die komplexe Verbindung zwischen dem Film und der katholischen Kirche in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand des Forschungsinteresses gewesen. So liegen etwa Arbeiten vor zur katholischen Filmarbeit in der westdeutschen Diözese Münster (Daniel Polreich, 2007), in der DDR (Alexander Seibold, 2003) und im katholisch geprägten Bayern (Christian Kuchler, 2006). Für die Schweiz greift nun Adrian Gerber das Thema auf und legt eine umfassende Monographie über die Geschichte der katholischen Filmarbeit zwischen 1908 und 1972 vor.
Gerber geht es in seiner Lizenziatsarbeit, die an der Universität Zürich entstanden ist, vor allem um die Geschichte der katholischen Filmpublizistik. Vorrangig analysiert er die von 1941 bis 1972 erschienene Zeitschrift Filmbeobachter, deren Geschichte er zunächst in die aktuelle Forschungslage zum Katholizismus in der Schweiz einbettet. In seinen Ausführungen stützt er sich besonders auf die Milieustudien von Urs Altermatt (1991, 1993). Im Anschluss setzt die Arbeit ihren ersten Schwerpunkt: Im Blick steht die katholische Filmarbeit der 1960er Jahre. Differenziert werden das schweizerische Filmwesen und die Aktivitäten der katholischen Filmarbeit innerhalb dieses cineastischen Bereichs, aber auch innerhalb der kirchlichen Strukturen beschrieben. Unklar bleibt allerdings, warum Gerber den sicher sehr prägenden Zeitraum der 1960er Jahre hier herausgreift und auf eine grundlegende, chronologische Verortung der Filmarbeit zunächst verzichtet. Diese reicht er erst im Schlusskapitel nach, in welchem er die Geschichte der katholischen Filmpublizistik seit ihrer Entstehung bis zum Ende des 20. Jahrhunderts abschreitet. Manche inhaltlichen Angaben aus diesem Kapitel hätten dem Leser schon bei der umfangreichen Bewertung der 1960er Jahre von Nutzen sein können.
Überzeugend gelingt es Gerber, den großen Beitrag katholischer Akteure für den Aufbau katholischer Filmarbeit im 20. Jahrhunderts nachzuweisen. Während er der durchaus vielschichtigen Figur des Basler Jesuiten Abbé Joseph Alexis Joye weniger Gewicht zuschreibt als anderen Autoren, stellt er die individuelle Bedeutung von Charles Reinert, Stefan Bamberger und Ambros Eichenberger, auch für die internationale Filmarbeit katholischer Provenienz, heraus. Mit Blick auf die 1960er Jahre belegt er zudem die Relevanz kirchlicher Filmanstrengungen für das katholische Milieu im Land. Er weist nach, dass es in der Schweiz eine breite Filmarbeit n den katholischen Pfarrämtern, Vereinen und Lehranstalten gab. Zugleich aber blieben die Arbeit des nationalen Filmbüros und die konfessionell-kritische Publizistik im Filmbeobachter weitgehend auf die deutschsprachige Schweiz beschränkt. Initiativen, deren Wirkungskreis auch auf die italienisch- und französischsprachigen Gebiete des Landes auszuweiten, scheiterten immer wieder am mangelnden Engagement in jenen Regionen. Beachtung fand die katholische Filmarbeit dagegen insbesondere durch die Übernahme der von ihr erstellten Filmrezensionen, durch konfessionell verortete Presseorgane wie etwa die Neue Zürcher Nachrichten und das Basler Volksblatt. Diesen Bereich untersucht Gerber allerdings nicht vertieft, so dass gerade die Rezeption jener nachgedruckten Rezensionen ein Forschungsdesiderat bleibt, dessen Behandlung vielfältigen Ertrag verspricht.
Das abschließende Kapitel zur Filmpublizistik, das etwa die Hälfte der Studie umfasst, setzt mit der katholischen Reaktion auf die Erfindung des Films an, geht auf die europaweite Vorreiterrolle der Schweiz beim Aufbau einer konfessionellen Filmpublizistik ein und spannt den Bogen über die Massenwirksamkeit der 1960er Jahre, die Gerber als Höhepunkt der katholischen Filmarbeit ansieht, bis hin zur Gegenwart. Dabei gelingt es ihm überzeugend, allgemein bedeutsame Entwicklungen, wie etwa die päpstliche Enzyklika Vigilanti Cura aus dem Jahr 1936, neben genuin nationalgeschichtliche Motivationen zu stellen. So belegt Gerber, dass gerade die Aufrechterhaltung der staatlichen Souveränität mit ihren politischen und moralischen Grundüberzeugungen zwischen den 1930er und 1950er Jahren zu den zentralen Impulsen der katholischen Filmbewertung zählt. Katholische Kreise schlossen sich dem allgemeinen, nationalen Ziel an, als „schweizerisch“ angesehene Werte gegen Totalitarismen, die von außen an das Land herangetragen wurden, zu verteidigen. Diese Zielsetzung prägte auch die Besprechung von kommerziellen Leinwanddarbietungen durch die katholische Filmpublizistik.
Die Studie verknüpft die nationale Ebene immer wieder ertragreich mit überregionalen Entwicklungen. Diese Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für international vergleichend angelegte Studien zur katholischen Filmarbeit. Allerdings wäre eine vertiefte Darstellung und Ergründung dieser Perspektiven sowie der interkonfessionellen Zusammenarbeit etwa mit protestantischen Stellen wünschenswert gewesen. Insgesamt legt Gerber ein sehr umfassendes und informatives Bild der katholischen Filmarbeit in der Schweiz vor. Er fügt damit dem Stand der Forschung zur katholischen Filmarbeit, als einem zentralen Feld der kirchlichen Kulturarbeit im 20. Jahrhundert, eine bedeutsame Analyse hinzu und regt zu weiteren vergleichenden Forschungen an. (Christian Kuchler)
Christian Kuchler, Dr. phil., ist Akademischer Rat in der Abteilung Didaktik der Geschichte der Universität Regensburg. Forschungsschwerpunkte: Katholische Medienarbeit, Filmeinsatz im Geschichtsunterricht; Städte als historische Lernorte. Publikationen u.a.: Kirche und Kino. Katholische Filmarbeit in Bayern (1945-1965) (Paderborn 2006), Aktion „Saubere Leinwand“: Freiheit der Kunst oder Zensur? In: Geschichte lernen 23 (2010), Heft 133, S. 26-31.
Filmblatt 45 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 10.9.2011
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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