Alexandra Hissen: Hitler im deutschsprachigen Spielfilm nach 1945. Ein filmgeschichtlicher Überblick. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2010 (= Filmgeschichte International; 19), 290 Seiten, Abb.
ISBN 978-3-86821-228-0, € 28,50
Nach dem medialen Boom, den Hitlerbilder in den vergangenen Jahren erfuhren, war es nur eine Frage der Zeit, bis eine Arbeit wie diese erscheinen würde. Mit ihrer Trierer Dissertation bietet Alexandra Hissen einen chronologischen Überblick der Hitler-Darstellungen im deutschsprachigen Spielfilm nach 1945. Die Autorin untersucht dazu Werke mit fiktionalem Inhalt und/oder fiktiven Elementen, in denen die Szenen mit einer gespielten Hitler-Figur insgesamt länger als zwei Minuten dauern. Hitlers zahlreiche Kurzauftritte etwa als Rückenansicht oder als bloße Stimme werden somit nicht berücksichtigt. Das derart eingegrenzte Filmkorpus umfasst 16 Produktionen: Er reicht von Georg Wilhelm Pabsts DER LETZTE AKT (1955) über Axel Cortis EIN JUNGER MANN AUS DEM INNVIERTEL (1973) und Hans Jürgen Syberbergs HITLER – EIN FILM AUS DEUTSCHLAND (1978) bis hin zum unvermeidlichen DER UNTERGANG (2004) und der Komödie MEIN FÜHRER – DIE WIRKLICH WAHRSTE WAHRHEIT ÜBER ADOLF HITLER (2007). Die DDR ist mit Kurt Maetzigs DEFA-Produktion ERNST THÄLMANN – FÜHRER SEINER KLASSE (1955) vertreten, in der Hitler, wie in anderen Filmen auch, eine prominente Nebenrolle spielt. Maetzig charakterisiert ihn, gemäß dem Geschichtsbild der SED, als eine Marionette des Großkapitals.
Mit Hissens Dissertation liegt nach Charles P. Mitchells schnell zum Standardwerk avancierter lexikalischer Sammlung The Hitler Filmography (2002) und den beiden Tagungsbänden Das Böse im Blick. Die Gegenwart des Nationalsozialismus im Film (2007) sowie Hitler darstellen. Zur Entwicklung und Bedeutung einer filmischen Figur (2008) eine weitere intensive Auseinandersetzung mit dem medialen Nachleben des Jahrhundert-Verbrechers vor.
Die Autorin operiert streng systematisch, indem sie für jeden Film die Entstehungsgeschichte, die Art der Hitler-Darstellung und – soweit rekonstruierbar – die Presse- und Publikumsreaktionen beschreibt. So ergibt sich ein Gesamtbild der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber den Visualisierungen des Diktators, die in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende bei Publikum und Presse in Westdeutschland zumeist Ablehnung erfuhren, heute aber in entsprechender Mainstream-Bearbeitung ein Quotengarant sind. Während die Illustrierte Quick unter dem Titel „Uns bleibt auch nichts erspart: Hitler stirbt für Kinokassen“ die Dreharbeiten zum Bunkerdrama DER LETZTE AKT 1955 noch stark abwertend kommentierte und die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden dem fertigen Film ein Prädikat verweigerte, überbieten sich im neuen Jahrtausend Medienorgane wie Der Spiegel, Bild und Frankfurter Allgemeine Zeitung mit vorauseilender Öffentlichkeitsarbeit für DER UNTERGANG, der zudem als „besonders wertvoll“ ausgezeichnet wird.
Anhand der vorgestellten Werke lassen sich verschiedene Entwicklungen nachvollziehen: Die frühen Filme treten zwar an, das Propagandabild vom übermächtigen „Führer“ zu demaskieren, stellen Hitler jedoch im Umkehrschluss als Dämon dar und erschaffen so einen negativen Mythos. Dieser Mythos erlaubt es, die persönliche und die kollektive Schuld angesichts von Hitlers angeblich unwiderstehlicher Verführungskraft abzustreiten oder zu bagatellisieren. Während der internationalen Welle von Filmen über Hitler und den Nationalsozialismus in den 1970er Jahren stellt sich zum ersten Mal auch die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für das „Dritte Reich“. Gleichzeitig wird versucht, den Charakter des Diktators psychologisch zu erfassen. Satirisch verspottet wird er in Ulli Lommels ADOLF UND MARLENE (1977), der weitgehend auf historische Korrektheit und sogar auf das obligatorische Bärtchen verzichtet.
Der westdeutsche Untergrundfilm der 1980er Jahre führt die Entdämonisierung Hitlers fort und rückt dem Mythos recht drastisch zu Leibe. In Jörg Buttgereits Super-8-Kurzfilm BLUTIGE EXZESSE IM FÜHRERBUNKER (1982) wird eine Hitler-Figur mit der Axt zerstückelt und eine Trash-Ästhetik bedient. In der ebenfalls auf Super-8 gedrehten Fake-Dokumentation EINE FREUNDSCHAFT IN DEUTSCHLAND (1985) tritt der junge Romuald Karmakar als banalisierter „Adi“ auf – schlittenfahrend, schwimmend und onanierend. Auch Christoph Schlingensiefs Spektakel über die deutsche Vergangenheit – MENÜ TOTAL (1986) und 100 JAHRE ADOLF HITLER. DIE LETZTE STUNDE IM FÜHRERBUNKER (1989) – sollten den Mythos des Widergängers filmisch abnutzen, verschleißen und in der Groteske beerdigen. Einen weiteren Bewältigungsversuch stellte Armin Mueller-Stahls vom hiesigen Publikum und von der Filmbewertungsstelle geschmähtes philosophisches Kammerspiel GESPRÄCH MIT DEM BIEST (1996) dar.
Die Geschichtsproduktionen der letzten zehn Jahre beweisen, dass nach wie vor eine ungebrochene Hitler-Faszination besteht und die Figur inzwischen im gesamtdeutschen Mainstream angekommen ist. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich die Darstellungen als historistisch und „authentisch“ ausgeben, wie DER UNTERGANG es getan hat, der wiederum – bewusst oder unbewusst – alte Mythen neu auflegte. Indes scheiterten der Fernsehfilm GOEBBELS UND GEDULDIG (2001) und die Kinoproduktion MEIN FÜHRER an ihrem gebremsten Humor. Aus den beiden jüngeren Versuchen einer deutschen Hitler-Komödie spricht die Ängstlichkeit ihrer Macher, die zu sehr auf Konsens bedacht waren. Den reibungslosen Eingang der Hitler-Figur in die Popkultur zeigen hingegen die Persiflagen DER WIXXER (2004) und NEUES VOM WIXXER (2007), in denen der Butler Alfons Hatler als running gag fungiert. Sobald Hitler nicht mehr im historischen Kontext auftritt, „funktioniert“ er auch besser als Witzfigur. Dies beweisen zudem die zahlreichen kurzen Satiren, die – wie der Trickfilm ADOLF – ICH HOCK IN MEINEM BONKER (2006) – im Internet kursieren.
Zu den deutschsprachigen Hitler-Darstellungen bietet Alexandra Hissens Monografie eine gute Zusammenfassung. Ihr Ansatz, 16 relevante Werke jeweils nach dem gleichen Muster und mit der gleichen Aufmerksamkeit zu untersuchen, ist neu. Hissen folgt dabei gezielt ihrer wissenschaftlichen Methode (Entstehungsgeschichte, Art der Hitler-Darstellung, Resonanz auf den Film) – geht aber auch nicht darüber hinaus. So hätte etwa eine Einordnung in den Kontext der internationalen Hitler-Filme, auf welche die deutschen Produktionen häufig reagieren, die Untersuchung bereichert. Auch konzentriert sich die Perspektive der Filmanalysen sehr auf die jeweiligen Hitler-Auftritte, wodurch andere wichtige Aspekte der Geschichtsbild- und Ideologieproduktion in den Hintergrund treten. Das Spannungsfeld, in dem die deutschen Hitler-Darstellungen stehen, ist hochkomplex. Hissen legt seine Koordinaten fest, hält sich mit weiterführenden Thesen oder Prognosen allerdings zurück. (Sonja M. Schultz)
Sonja M. Schultz, freie Filmjournalistin und Kunsthistorikerin, hat an der Humboldt-Universität zu Berlin über filmische Faschismus-Darstellungen promoviert. Ihr Buch Der Nationalsozialismus im Film. Von TRIUMPH DES WILLENS bis INGLOURIOUS BASTERDS erscheint demnächst.
Filmblatt 45 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 10.9.2011
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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