Jochen Voit: Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch. Die Biographie. Berlin: Aufbau-Verlag 2010, 360 Seiten, Abb.
ISBN 978-3-351-02716-2, € 24,95
Der Journalist und Historiker Jochen Voit eröffnet seine umfängliche Biografie von Ernst Busch (1900-1980) mit einer frappierenden Entscheidung: Er beginnt mit dem Jahr 1945, als Busch schon in der Mitte seines Lebens war. Bis dahin hatte Busch mit seinen künstlerischen Mitteln als Sänger und Schauspieler immer „gegen etwas“ gekämpft – gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Verkrüppelungen. Er hatte seine Gegner stets vor Augen gehabt: ob in den Berliner Arbeiterbezirken vor 1933, ob im Spanischen Bürgerkrieg 1936, ob im Internierungslager Gurs oder im Zuchthaus der Nationalsozialisten in Brandenburg. Mit dem Jahr 1945 änderte sich für ihn alles: die Gegner waren besiegt, so sah er es (und mit ihm viele andere Deutsche), und nun müsste eine solche gesellschaftliche Ordnung des Zusammenlebens aller aufgebaut werden, die eben Unterdrückung und Entfremdung ausschloss. Diese Hoffnung erwies sich – wie Voit aufschlussreich und bündig, angefüttert mit vielen Archivquellen, vor allem aus dem Nachlass in der Berliner Akademie der Künste, belegt – als Utopie, als illusorisch und als in letzter Konsequenz tragischer, kraftzersetzender Irrtum, auch wenn sich Busch dies nie hätte eingestehen können und er sich loyal zur DDR verhielt.
Der Kieler Metallarbeiter Ernst Busch mit der ungewöhnlichen Stimme hatte von früh an seine Doppelbegabung befördert: als Schauspieler und als Sänger. Er debütierte in der Provinz, spielte viel und erarbeitete sich – quasi von unten auf – ein stabiles Handwerkszeug. 1927 gelang ihm der Sprung nach Berlin, und fortan gehörte er zu den energisch aufstrebenden Stars der Metropole. Er spielte an namhaften Bühnen und bald auch beim Film, etwa 1931 in NIEMANDSLAND von Victor Trivas. Seine Karriere begann rasant. Seine Erscheinung wurde rasch populär, weil er als herb-kühler Gegenentwurf zum Hoppla-jetzt-komm-ich-Typus eines Hans Albers beim Zuschauer willkommen war. Er gab sich draufgängerisch auf proletarische Art, immer ironisch distanziert, untersetzt von schneidender Schärfe, in Habitus und Auftreten schmal, drahtig, dennoch dünnhäutig und für jedes Gefühl erreichbar.
Aus seiner pro-kommunistischen Haltung machte er keinen Hehl, sie prägte alle seine Auftritte. Den Dualismus zwischen Rollengestaltung am Theater und beim Film und seinen Gesangsauftritten bewältigte er mit Kraft und Management-Geschick. Als Glücksfall seines Lebens erwies sich die Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht und Hanns Eisler: sie kreierten in jenen Jahren vor 1933 zahlreiche Massenlieder, die Busch oft vortrug und auf Platten aufnahm. Sie hatten enorme Massenresonanz, die – gespeist von revolutionärem Pathos und zwingend-einfacher Gedankenführung – auf dem unmittelbaren Kontakt zwischen dem Sänger und seinem Auditorium beruhte, ein zeitgenössischer Live-Charakter besonderer Art, den Voit treffend beschreibt.
Alle Eigenheiten und Besonderheiten des Darstellers Busch waren stabil installiert, als 1933 das NS-Regime die Macht übernahm und Leute wie seinesgleichen verfolgte. Busch Karriere als Schauspieler und Sänger wurde abrupt abgebrochen. Nur mühsam, mit Opfern und unter erheblichen künstlerischen Irritationen überstand Busch Exil und Haft in Brandenburg. Er sang viel und machte Platten, als Schauspieler bekam er keine Chance im Exil-Film, von einer Kleinstrolle in Gustav von Wangenheims in Moskau gedrehten KÄMPFER (1936) abgesehen.
Mit diesem schwierigen Exilgepäck reüssierte Busch im Nachkriegs-Ostberlin. Wieder sang und spielte er: große Rollen am Deutschen Theater und bei Brecht am Berliner Ensemble, im Film jedoch nicht. Auch hier wieder die Ausnahme: Konrad Wolf musste den von ihm hoch verehrten Mimen buchstäblich überreden, und aus Sympathie für Wolf spielte er in der DEFA-Produktion GOYA (1970) den Jovellanos.
Voit geht auch den privaten Verästelungen der Biografie nach, und mit Lust achtet er darauf, dass er alle seine zahlreichen Archivfunde in seinem Text unterbringt. Er stellt Busch, den er vor allem als eine Ikone zwischen Pop und Propaganda betrachtet, als schwierigen Charakter und als instinktiv sicheren Multiplikator seiner selbst dar, der sich durchaus nach politisch opportunen Gegebenheiten (z.B. gegenüber den DDR-Oberen) richtete, sich aber in vielem auch nicht vereinnahmen ließ.
Die von Busch ausgehende Faszination leugnet Voit nicht, weder seine eigene noch die von anderen, besonders von Buschs Zuhörern vor 1933 oder später in der Sowjetunion, sieht aber ziemlich kritisch auf dessen oft anarchisch-unverständliches Verhalten, auf seine Selbst-Verliebtheit, seine Eitelkeit. Busch war auf seine Arbeit als Sänger konzentriert wie selten jemand, wurde da im Alter oft zickig und unbequem und ließ kaum etwas anderes als sich selbst gelten. Seine Arbeitswut ließ ihn auch oft derart schroff erscheinen, dass manche Sympathisanten sich zurückgewiesen fühlten.
Voit realisiert sein Muster von der Ikone Busch, die zugleich ein Popstar war, energisch und fabulierfreudig in Zugriff und Wortwahl. Das wirkt erfrischend und munter, freilich auch dann oft gewollt und sogar gedrechselt, wenn Voit tatsächlich schwierige Sachverhalte dieses komplizierten Lebens in sein Raster pressen will und alles Unpassende wegschneidet. Seine Diktion bleibt nonchalant und lässig, was bei solcher Biografie mehr als einmal verblüfft und wohl auch manchmal unangemessen und geziert erscheint. Insgesamt ist sein Text gut und schnell zu lesen. Bedauerlicherweise bleiben Buschs große Nachkriegs-Theaterrollen unter dem Anspruch des Autors, weil sie offenbar nicht in sein Raster passen wollen: vor allem der Feldkoch in Brechts Mutter Courage und ihre Kinder, der Azdak in Brechts Kaukasischem Kreidekreis, Mephisto und Galilei. Gewiss, diese Rollen sind nicht fixiert, außer in Rezensionen und wenigen zeitgenössischen Filmausschnitten, und sie sind vollständig aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden. Die Fehlstelle bleibt ein Defizit.
Eine interessante Biografie eines widerspruchsreichen Künstlers, voller streitbarer, auch sehr subjektiver Meinungen zu Buschs Leistungen. Leider fehlt ein exaktes Werkverzeichnis. (Günter Agde)
Günter Agde, Filmhistoriker, Mitglied von CineGraph Babelsberg. Studien zu film- und zeithistorischen Themen, zur DEFA-Geschichte und zum Exil, u.a. KÄMPFER – Biographie eines Films und seiner Macher (Berlin 2001).
Filmblatt 45 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 10.9.2011
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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