Editorial [1]
FilmDokument
Jeanpaul Goergen: Propaganda für ein modernes Äthiopien. Martin Rikli als Sonderberichterstatter der Ufa 1935 in Abessinien. Martin Rikli arbeitete von Februar bis Juli 1935 als Sonderberichterstatter der Ufa und des Scherl-Verlags in Abessinien. Kaiser Haile Selassie förderte und überwachte die Dreharbeiten. Rikli gelangen daher exklusive Aufnahmen von den äthiopischen Kriegsvorbereitungen; allerdings durfte er nur das filmen, was man ihm erlaubte. Abessinien von heute – Blickpunkt der Welt wurde so zu einem Propagandafilm, der die Modernisierungsbestrebungen des Landes herausstellt, den Kaiser als einen den Fortschritt befördernden Herrscher porträtiert und die Schlagkraft der äthiopischen Armee betont. Der Beitrag analysiert Riklis Reportage vor dem Hintergrund der Abessinienkrise, die am 3. Oktober 1935 in den italienisch-äthiopischen Krieg mündete. [3]
Dorit Müller: Eiskalte Grenzgänge. Alfred Wegeners Grönlandexpedition im Kulturfilm von 1936. Im Auftrag der NS-Kulturgemeinde und der Deutschen Forschungsgemeinschaft produzierte das Atelier Noldan 1936 den Film Das große Eis – Alfred Wegeners letzte Fahrt. Er dokumentiert die Etappen und Leistungen einer 1930/31 durchgeführten Grönlandexpedition, bei der Wegener ums Leben kam. Der Erfolg des Films beruhte nicht nur auf einer Faszination für Polarreisen und Anknüpfungen an gängige Narrative heroischer Landnahme, sondern auch auf dem Wechsel von Originalaufnahmen, authentischen Dokumenten und Trickgrafiken. Der Beitrag untersucht den Film als ein exponiertes Beispiel für die Grenzgänge des Kulturfilms zwischen avancierter Filmtechnik und tradierter Ästhetik, Infotainment und Propaganda sowie zwischen Wissenschaft, Unterricht und Populärkultur. [17]
Günter Riederer: Von der arbeitenden Hand zum Maschinenballett. Ästhetische Wandlungen im Unternehmensfilm von Volkswagen in den Wirtschaftswunderjahren. Seit seinem Markteintritt hat das Volkswagenwerk in Wolfsburg kontinuierliche Anstrengungen unternommen, bewegte Bilder vom Arbeitsprozess in den Werkshallen in die Kinos zu bringen. Der Beitrag analysiert anhand ausgewählter Beispiele die Unternehmensfilme, die in den Wirtschaftswunderjahren im Auftrag von Volkswagen hergestellt wurden. Der zeitliche Längsschnitt ermöglicht dabei spannende Vergleiche der unterschiedlichen filmischen Motive: Während unmittelbar nach Kriegsende und der Wiederaufnahme der Fahrzeugproduktion Aufbaupathos und Wirtschaftswunderrhetorik im Vordergrund standen, wurden die Filme in den 1960er Jahre zunehmend von neuen Themen wie der um sich greifenden Automatisierung der Produktion bestimmt. [35]
Selten hat eine Industriefilmproduktion derart heftige Kontroversen ausgelöst wie Hugo Niebelings Alvorada – Aufbruch in Brasilien. Weder die Oskar-Nomination oder der Bundesfilmpreis noch die Auszeichnung als deutscher Beitrag für das Filmfestival in Cannes konnte den Mannesmann-Konzerns dazu bringen, den Film vor Zeitgenossen öffentlich aufzuführen. Letztlich zerbrach die langjährige und bis dahin fruchtbare „Filmproduktionsgemeinschaft MW“ zwischen dem Auftraggeber Mannesmann und dem Filmgestalter Hugo Niebeling über diesen Film. Ein Blick in die Entstehungsgeschichte verspricht daher Erkenntnisgewinn auch und gerade im Hinblick auf dieses schwierige Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und Gestalter. Handelt es sich überhaupt um einen Industrie-Imagefilm? [51]
Wiederentdeckt
Lihi Nagler, Philipp Stiasny: „Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!“ Doppelgänger, Tonfilmtechnik und Psychoanalyse in Robert Wienes Der Andere (1930). Am Beispiel von Robert Wienes 1930 gedrehtem Tonfilm-Remake des Stummfilms Der Andere (1913) von Max Mack nach dem Theaterstück von Paul Lindau widmet sich der Aufsatz den Wechselwirkungen zwischen der Erzählung, dem Wandel der Filmtechnologie und dem selbstreflexiven Diskurs über das Kino sowie den Konjunkturen von Doppelgänger-Filmen zwischen 1913 und 1930. Neu ist hier, dass Wiene die Persönlichkeitsspaltung des Helden (Fritz Kortner) ganz aus dem Geist der Psychoanalyse heraus erklärt und mit den Möglichkeiten des Tonfilms spielt, um das Unbewusste zu ergründen. Wie Kortners Stimme dem Entsetzen über das ihm innewohnende „Andere“ Ausdruck verleiht, weist voraus auf Peter Lorres Darstellung des zwanghaften Kindermörders in Fritz Langs M (1931). [61]
Felicitas Milke: „Die Zeit ist für einen solchen Film noch nicht reif“. Kinder, Mütter und ein General (1955) als Vermächtnis von Erich Pommer. Als der legendäre Produzent und Remigrant Erich Pommer (1889-1966) seinen Antikriegsfilm Kinder, Mütter und ein General 1955 in der Bundesrepublik in die Kinos brachte, stand für ihn auch das wirtschaftliche Überleben seiner Firma Intercontinental Film auf dem Spiel. Dennoch blieb er gegenüber seinem Geldgeber und Verleiher kompromisslos und ließ vom Hollywood-Regisseur Laslo Benedek neben einem tröstlichen auch einen offenen, deprimierenden Schluss drehen, den allerdings nur das Publikum im Ausland zu sehen bekam. Pommers Mut zahlte sich nicht aus: Sein letzter Film war zwar ein Erfolg bei der nationalen und internationalen Kritik, floppte aber an der Kinokasse. War, wie Pommer befürchtete, die Zeit für seinen Film einfach noch nicht reif? [75]
Jeanpaul Goergen: „Klinisches Zeitbild in dokumentarischer Form“. Die wiedergefundene Premierenfassung von Helmut Käutners Schwarzer Kies von 1961. Gegen die als beleidigend empfundene Darstellung jüdischer Figuren reichte der Zentralrat der Juden in Deutschland Strafanzeige ein. Eine knappe Woche lang generierte dieser Filmskandal zahlreiche Artikel und Kommentare. Obschon sich Helmut Käutner missverstanden fühlte, willigte er ein, alle jüdischen Bezüge herauszuschneiden. Gleichzeitig milderte er den Filmschluss ab. Die Premierenfassung lief anschließend nur noch im Ausland und geriet in Vergessenheit. Eine Überprüfung aller im Bundesarchiv-Filmarchiv überlieferten Kopien förderte die Originalfassung zu Tage, die sich, hier erstmals analysiert, als kompromissloses Zeitbild der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft herausstellt. [91]
Zwischen Hoffen und Bangen. Jüdische Schicksale im Münster der NS-Zeit. DVD. Münster: LWL-Medienzentrum für Westfalen 2010 / Uwe Fanelli: Göttingen unterm Hakenkreuz. Zeitzeugen berichten über die 30er Jahre. DVD. Göttingen: Monika Fanelli & Partner 2010 (Jeanpaul Goergen) [106]
Der Hauptmann von Köln (DDR 1956). DVD-Icestorm (Michael Grisko) [107]
Paolo Caneppele: Der Kilometerfresser. Film di viaggio in Europa negli anni Venti. Bozen: Autonome Provinz Bozen Südtirol, Florenz: Giunti 2010 / Der Kilometerfresser (1925), DVD (Luca Pisciotta) [109]
Joseph Garncarz: Maßlose Unterhaltung. Zur Etablierung des Films in Deutschland 1896-1914. Frankfurt am Main 2010 (Wolfgang Fuhrmann) [112]
Eric Ames: Carl Hagenbeck’s Empire of Entertainments. Seattle 2009 (Anja Laukötter) [115]
Jasmin Lange: Der deutsche Buchhandel und der Siegeszug der Kinematographie 1895-1933. Reaktionen und strategische Konsequenzen. Wiesbaden 2010 (Michael Grisko) [117]
Heide Schlüpmann, Eric de Kuyper, Karola Gramann, Sabine Nessel, Michael Wedel (Hg.): Unmögliche Liebe. Asta Nielsen, ihr Kino. Wien 2010 / Heide Schlüpmann, Karola Gramann (Hg.): Nachtfalter. Asta Nielsen, ihre Filme. Wien 2010 (Mila Ganeva) [119]
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