Jürgen Haase (Hg.): Zwischen uns die Mauer. DEFA-Filme auf der Berlinale. Berlin: berlin edition im be.bra-verlag 2010, 272 Seiten, Abb.
ISBN 978-3-8148-0175-9, € 19,95
Bereits seit Ende der 1950er Jahre nahm die DDR regelmäßig mit Produktionen der DEFA an Festivals in der Bundesrepublik wie der Mannheimer Filmwoche und den Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen teil. Das wichtigste deutsche Festival jedoch, die Berlinale, fand bis 1975 ohne Beteiligung der DEFA statt. Wie es dazu kam und welche Rolle die DEFA-Filme danach bis 1990 auf der Berlinale spielten, damit beschäftigt sich der von Jürgen Haase herausgegebene Sammelband Zwischen uns die Mauer, der im Frühjahr 2010 aus Anlass der 60. Berlinale erschienen ist.
Die einzelnen Beiträge des Buches erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch, im Gegenteil: Es geht den insgesamt 26 Autoren – darunter Schauspieler, Regisseure, Journalisten und Politiker – eher um einen persönlichen, bewusst subjektiven Blick auf die DEFA-Filme, die im Rahmen der Berlinale zu sehen waren. Das Spektrum umfasst Interviews, die für diesen Band geführt wurden, u.a. mit Erika und Ulrich Gregor, dem Filmkritiker Heinz Kersten und Wolfgang Kohlhaase, sowie kürzere Aufsätze, die größtenteils neu verfasst wurden, in Einzelfällen jedoch auch schon an anderer Stelle erschienen sind. Dabei werden neben den auf der Berlinale gezeigten ostdeutschen Spiel-, Dokumentar- und Kinderfilmen auch jene Fälle geschildert, in denen Filme aus politischen Gründen von der Berlinale zurückgezogen wurden, etwa Frank Beyers DER AUFENTHALT (1982). Hinzu kommen zehn „Filmsteckbriefe“ mit statistischen Angaben, Inhaltsbeschreibungen und ausgewählten Pressestimmen zu jenen DEFA-Filmen, die in Berlin für besonderes Aufsehen sorgten, darunter Beyers JAKOB DER LÜGNER (1974), Herrmann Zschoches BÜRGSCHAFT FÜR EIN JAHR (1981) und Rainer Simons DIE FRAU UND DER FREMDE (1984), der als einziger DEFA-Film mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Abgerundet wird das Buch durch eine detaillierte Übersicht aller DEFA-Filme, die seit 1975 auf der Berlinale liefen.
Die Qualität der einzelnen Beiträge ist sehr gemischt. Während sich einige Texte in Anekdoten erschöpfen, liest man andere mit Gewinn, weil gerade die subjektive Zeitzeugen-Perspektive einzelne Ereignisse in neuem Licht erscheinen lässt. Interessant ist beispielsweise, wie sich Renate Krößner an die Verleihung des Silbernen Bären für ihre Rolle in SOLO SUNNY (1980) erinnert: Sie wurde kurzfristig von ihren aktuellen Dreharbeiten nach Berlin gebracht, besaß aber kein gültiges Visum und wurde daher von Konrad Wolf, der über einen gültigen Diplomatenpass verfügte, über die Grenze gebracht. Leider fällt Krößners Beitrag sehr knapp aus. Man erfährt nichts darüber, dass die Auszeichnung für sie keineswegs den Start zu einer großen Karriere bedeutete: Trotz (oder gerade wegen) des internationalen Erfolgs von SOLO SUNNY erhielt sie in den folgenden Jahren bei der DEFA keine größeren Rollenangebote mehr und siedelte 1985 in die Bundesrepublik über.
Die Kürze mancher Texte ist ein generelles Problem des Bandes, weil die Beiträge dadurch notgedrungen etwas oberflächlich ausfallen. Herrmann Zschoche etwa berichtet auf nur einer halben Seite, dass sein Film INSEL DER SCHWÄNE (1983) ursprünglich auf der Berlinale laufen sollte, dann jedoch zurückgezogen wurde. Der Film habe „nicht dem Wunschbild irgendwelcher anonymer Gremien“ entsprochen, „die dem Filmminister ihre Meinung“ aufgezwungen hätten (S. 128). Mit solchen vagen Vermutungen kann man als Leser nur wenig anfangen.
Spannend ist indes, wie sich einstige Funktionäre aus der DDR an die Berlinale-Beteiligung der DEFA erinnern, unter ihnen Jürgen Harder, der zwischen 1976 und 1990 als politischer Mitarbeiter in der Abteilung Kultur des ZK der SED für Filmpolitik zuständig war. Harder schildert seine persönlichen Erfahrungen erstaunlich selbstgefällig, ohne seine eigene Funktion oder die generelle Rolle des SED-Regimes kritisch zu hinterfragen. Das mag als subjektive Erinnerung legitim sein, wird jedoch problematisch, wenn dabei Sachverhalte lücken- oder gar fehlerhaft dargestellt werden. So geht Harder auf Fred Müller ein, der als Sekretär im Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR eine entscheidende Rolle bei Kontakten in die Bundesrepublik spielte. Müller habe zu „den einflussreichsten Funktionären der DDR-Filmbranche“ gehört und sei „hochgradig vernetzt“ gewesen – mit den „Parteigremien der SED ebenso wie mit Künstlerkreisen“, so Harder (S. 55f.). Was er jedoch nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass zu Müllers „Netzwerk“ auch die Staatssicherheit gehörte, für deren Auslandsspionagedienst er als IM tätig war und Berichte über seine Westkontakte verfasste, worauf Hubertus Knabe schon 1999 hingewiesen hat.
Was dem Band schließlich fehlt, ist ein substantieller, quellengestützter und wissenschaftlich fundierter Überblick über die politischen und kulturellen Aspekte der DEFA-Beteiligung an der Berlinale. Die Einleitung von Jürgen Haase (S. 13-22) bietet zwar einen groben Überblick, bleibt unterm Strich aber zu allgemein, um die Hintergründe der oftmals komplizierten und von diplomatischen Einflüssen geprägten Konflikte zu verdeutlichen. So wird etwa die 1967 erfolgte Umwandlung der Berlinale in eine eigenständige GmbH im gesamten Buch allenfalls beiläufig erwähnt – dabei handelte es sich um einen (letztlich gescheiterten) Versuch, das Festival zu „entstaatlichen“ und dadurch eine Beteiligung der Sowjetunion und der anderen Ostblockstaaten zu ermöglichen. Wer sich für eine detaillierte und fundierte Geschichte der Berlinale sowie die Rolle der DEFA auf dem Festival interessiert, sollte deshalb auf Wolfgang Jacobsens Studie 50 Jahre Berlinale (2000) zurückgreifen, die bereits vor 10 Jahren erschienen ist. (Andreas Kötzing)
Andreas Kötzing, Historiker, promoviert an der Universität Leipzig zur Geschichte der Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen im Kalten Krieg. Arbeitsschwerpunkte: Deutsch-Deutsche Nachkriegsgeschichte, Film- und Mediengeschichte. Zuletzt: Zensur von DEFA-Filmen in der Bundesrepublik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr.1/2 (2009), S. 33-39.
Filmblatt 44 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 12.5.2011
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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