Michael Wedel, Elke Schieber (Hg.): Konrad Wolf – Werk und Wirkung. Berlin: Vistas 2009 (= Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft; 63), 284 Seiten, Abb.
ISBN 978-3-89158-500-9, € 19,00
Konrad Wolf gehörte zu den herausragenden Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in der DDR, sowohl als Regisseur von bekannten DEFA-Filmen wie DER GETEILTE HIMMEL (1964) und SOLO SUNNY (1980) als auch als langjähriger Präsident der Akademie der Künste. Seine exponierte Stellung war dabei eng mit seiner außergewöhnlichen Biografie verknüpft: Als Sohn des antifaschistischen Dramatikers Friedrich Wolf emigrierte er als Kind mit seiner Familie in die Sowjetunion und remigrierte nach dem Krieg in die DDR, nachdem er 1945 als 19-jähriger Soldat der Roten Armee erstmalig nach Deutschland zurückgekehrt war. Dieser biografische Hintergrund – die doppelte, deutsch-russische Identität und der antifaschistische Gestus – fand nicht nur im filmischen Oeuvre Wolfs Widerhall; er leistete auch lange Zeit einem autorenzentrierten Interpretationsansatz Vorschub: Die prägnante Karriere in der ostdeutschen Filmgeschichte und Kulturpolitik, balanciert durch einen vielleicht nie vollends identifikatorischen Blick auf die DDR – das schien die Position des Regisseurs auch künstlerisch zu begründen.
Der Sammelband Konrad Wolf – Werk und Wirkung, herausgegeben von Michael Wedel und Elke Schieber, sucht demgegenüber neue Wege zu beschreiten, indem er Wolfs Filme in die internationale Filmgeschichte einschreibt und ihn damit über den referentiellen Rahmen der DEFA hinaushebt. So versammelt das Buch, das die Ergebnisse eines Symposiums im Jahr 2005 zum 80. Geburtstag von Konrad Wolf an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg bündelt, insgesamt 16 Aufsätze von Autoren aus dem deutschsprachigen und anglo-amerikanischen Raum innerhalb der Themenkomplexe „Überlieferung und Aktualität“, „Geschichtsentwürfe und Gesellschaftsbilder“ und „Einflüsse und Wechselwirkungen“. Die Aufsätze fokussieren dabei vor allem Wolfs Spielfilme STERNE (1959), DER GETEILTE HIMMEL (1964), ICH WAR NEUNZEHN (1968), GOYA (1971) und DER NACKTE MANN AUF DEM SPORTPLATZ (1974), untersuchen aber auch seine Arbeiten fürs Fernsehen, etwa DER KLEINE PRINZ (1966) und den Mehrteiler BUSCH SINGT (1982).
Die Herausgeber haben sich entschieden, einen wegweisenden Artikel von Thomas Elsaesser und Michael Wedel aus dem Jahr 2001 voranzustellen, der eigentlich nicht Bestandteil des Symposiums war, aber für einige Beiträge des Symposiums einen Referenzrahmen bildete. Der Ansatz der Autoren stimmt dabei mit dem Grundanspruch des gesamten Buches überein: Wolf nämlich nicht als „solitären Ausnahmeregisseur“ (S. 30) zu deuten, sondern seine Werke nunmehr auch im Rahmen von Genres und Genrekonventionen zu konzeptualisieren. In Wolfs bekanntesten Filmen gibt es, so die Grundthese der Autoren, „plötzliche Momente des Wiedererkennens“ (ebd.), die Anschlüsse an die nationale und internationale Film- und Genregeschichte herstellen. In diesem Sinne entwerfen sie ein Panorama von Wolfs Oeuvre, interpretieren STERNE als „Urmuster eines Melodrams“ (S. 39) und rücken Motive der Literaturverfilmung DER GETEILTE HIMMEL in die Nähe des europäischen Autorenkinos eines frühen Michelangelo Antonionis oder einer Marguerite Duras. ICH WAR NEUNZEHN – Wolfs gemeinhin als am stärksten autobiografisch geltender Film über einen jungen deutschen Rotarmisten, der am Ende des Krieges nach Nazi-Deutschland zurückkehrt – erscheint aus dieser Perspektive auch in Bezug auf Ort und Handlungssituation als Variation des Westerngenres.
Larson Powell entwickelt diesen Ansatz weiter und interpretiert ICH WAR NEUNZEHN ganz konsequent als Gattungsbeispiel des antifaschistischen Films, erweitert jedoch das Genrekonzept um die Artikulation von Geschichte, beispielsweise in Bezug zum Neorealismus. Zwar stehe der Film durch seine geschichtliche Thematik in einem Widerspruch zu dieser Zeitströmung. Wolf lehne sich jedoch an die moralische Haltung des Neorealismus an und schaffe damit einen „Authentizitätseffekt“, der die besondere Gattung des antifaschistischen Films definiert. Ähnlich geht auch Barton Byg vor, der die Schlussszenen von ICH WAR NEUNZEHN mit dem fast zur gleichen Zeit gedrehten, aber verbotenen DIE RUSSEN KOMMEN (1968/87) von Heiner Carow sowie auch mit Joachim Kunerts DIE ABENTEUER DES WERNER HOLT (1965) in Beziehung setzt, einem Film, der als kulturelles Supplement offizieller Geschichtsschreibung in der DDR eine steile Karriere machte. Byg macht hier eine „Narration der Nation“ (S. 113), aber auch ein (film-)historisches Trauma aus.
Einen deutlichen Schwerpunkt innerhalb der Aufsätze bildet die Auseinandersetzung mit DER GETEILTE HIMMEL, und auch hier wird ein nationales Trauma beschrieben. Im direkten Vergleich mit Alexander Askoldows DIE KOMMISSARIN (1967/87) interpretiert etwa Daniela Berghahn die weiblichen Hauptfiguren als Allegorie nationaler Geschichte, in denen sich einerseits eine offizielle Geschichtsversion manifestiert. Andererseits, so Berghahns These, spiegele sich in ihnen das Trauma der Revolution bzw. nationalen Teilung.
Neben seiner Arbeit als Regisseur stand Konrad Wolf von 1965 bis kurz vor seinem Tod 1982 als Präsident der Akademie der Künste vor. In die Zeit seiner Präsidentschaft fielen wichtige politische Ereignisse wie das „Kahlschlag-Plenum“ von 1965, die Ausweisung von Wolf Biermann 1976 und 1981 die „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“ zwischen west- und ostdeutschen Künstlern. Interessant scheint hier, wie Matthias Braun erläutert, vor allem die Diskrepanz zwischen den Schriften Konrad Wolfs, die ihn als „Nomenklaturkader“ ausweisen, und persönlichen Erinnerungen von Zeitzeugen an den Präsidenten, der seine privaten Gespräche „einfühlsamer als mancher Partei- und Kulturfunktionär“ (S. 200) führte. Mit Brauns Text kehrt der Sammelband zur eingangs beschriebenen, prekären Stellung des Regisseurs innerhalb der DDR-Kulturgeschichte zurück, die ungeachtet der Vielzahl der in diesem Band versammelten, fruchtbaren Neuperspektivierungen wohl eine Konstante der kulturwissenschaftlichen Annäherungen an Konrad Wolf bleiben wird. Ein bemerkenswerter Band mithin, der darauf aufmerksam macht, dass das Werk Wolfs sich letztlich nur multiperspektivisch erschließen lässt. (Christiane Breithaupt)
Christiane Breithaupt, Studium der Kulturwissenschaften und Italienisch in Berlin und Pisa. Derzeit tätig als Online-Redakteurin beim Medienboard Berlin-Brandenburg. Autorin für epd Film. Forschungen zur Geschichte der DEFA. Veröffentlichungen u.a. Drehort: Weimar (gemeinsam mit Andrea Dietrich, Weimar 2007).
Filmblatt 44 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 12.5.2011
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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