Klaus-Dieter Felsmann, Bernd Sahling: Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg. Werkstattgespräche – Rezeptionsräume. Berlin: defa Spektrum 2010, 172 Seiten
ISBN 978-3-00-030098-1, € 12,50
Erstmals wird in Klaus-Dieter Felsmanns und Bernd Sahlings Publikation Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg. Werkstattgespräche – Rezeptionsräume, die in der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung erschienen ist, die Rezeption von DEFA-Kinderfilmen in der Bundesrepublik betrachtet. Insbesondere die DDR-Kinderfilmproduktionen bieten sich für eine systemübergreifende Untersuchung zur Rezeptionsgeschichte der DEFA-Filme an, weil ostdeutsche Märchenfilme wie DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL (1972/73) oder Gegenwartsfilme wie SABINE KLEIST, 7 JAHRE (1981/82) integraler Bestandteil der Kinderkinopraxis in der Bundesrepublik waren, wie Felsmann resümierend in einer seiner Kapitelüberschriften feststellt.
Im ersten Teil des Buches beleuchtet Felsmann die Bedeutung der Kinderfilme aus Babelsberg für die Entwicklung der bundesdeutschen Kinderfilmproduktion. Er konzentriert sich dabei auf die öffentliche Wahrnehmung des DEFA-Kinderfilms in der Bundesrepublik und deren Wirkung zwischen 1979 und 1990. Diese zeitliche Eingrenzung ergibt sich aus wirtschaftspolitischen Aspekten und privaten Initiativen, die einen deutsch-deutschen Austausch von Kinderfilmen erst ermöglichten. Felsmann untersucht den Einsatz der Filme in der Bundesrepublik, die Begegnungen von DEFA-Regisseuren mit dem westdeutschen Publikum und beschreibt das Wirkungspotential der Filme. Daten zu Filmvorführungen sowie Besucherzahlen von 1979 bis 1990 fehlen, weshalb eine lückenlose Rekonstruktion von Publikumswirkungen unmöglich ist. Jedoch gelingt es Felsmann, anhand von Beispielanalysen den Einsatz von DEFA-Kinderfilmen in nichtgewerblichen Kinderkinos in der Bundesrepublik nachzuweisen. Dabei stützt er sich auf die Ergebnisse einer umfassenden Fragebogenaktion von Horst Schäfer zu Beginn der 1980er Jahre. Auch das Kinder- und Jugendfilmzentrum in der Bundesrepublik Deutschland (KJF) veröffentlichte Anfang 1990 einen verleihübergreifenden Kinderfilmkatalog, in dem über 30 DEFA-Filme genannt werden. Ferner hat Felsmann die Verleihkataloge gewerblicher Anbieter untersucht. Auf Grundlage dieser Quellen und lückenhafter Einsatzzahlen bestimmter Titel – der Autor führt Herrmann Zschoches PHILIPP, DER KLEINE (1976) als DEFA-Film mit der höchsten Kopiendichte an – zeigt er, dass die Vorführungen von DDR-Kinderfilmproduktionen ein tragendes Element der westdeutschen Kinderfilmarbeit waren und bei der Herausbildung eines bundesdeutschen Kinder- und Jugendfilms Pate standen.
Felsmann untermauert seine These durch eine Betrachtung des Internationalen Kinderfilmfestivals Frankfurt am Main, des Kinderfilmfestes innerhalb der Internationalen Filmfestspiele in Berlin und des Kinderfilmfestes München, die als Schaufenster für DEFA-Kinderfilmproduktionen dienten. Des Weiteren erwähnt er das Festival „Goldener Spatz“ in Gera, das seit 1979 alle zwei Jahre als Plattform für deutsch-deutsche Begegnungen innerhalb der Kinderfilmpraxis diente und Ausgangs- und Bezugspunkt für den kulturellen Austausch zwischen Ost und West war. Felsmann deutet einen Einfluss dieses Festivals auf die bundesdeutsche Kinderfilmlandschaft jedoch nur an. Zitate von Christel und Hans Strobel, die sich seit Jahrzehnten für den Kinderfilm in der Bundesrepublik einsetzen, beschreiben, dass eine Einladung westdeutscher Besucher nach Gera oft als Bestätigung der eigenen Arbeit betrachtet wurde und dass die westdeutschen Besucher wiederum neue Impulse, Anregungen und Programmideen für Filmaufführungen in die Bundesrepublik mitnahmen. Eine komparatistische Untersuchung dieses Festivals mit den westdeutschen Initiativen und Veranstaltungen könnte weitere Nachweise eines interkulturellen Austausches zu Tage fördern, so Felsmann. Seine Studie schließt mit der These, dass die Integration der DEFA-Filme in die westdeutsche Kinderfilmpraxis die Entwicklung des dortigen Kinderfilms positiv beeinflusste.
Im zweiten Teil des Buches sind vier Werkstattgespräche von Bernd Sahling mit den Regisseuren Helmut Dziuba, Hannelore Unterberg, Rolf Losansky und Günter Meyer abgedruckt. Sahling, selbst Filmemacher, kennt seine Gesprächspartner sehr gut und erfragt detailliert die speziellen Arbeitsbedingungen bei der DEFA und den besonderen Umgang mit jungen Darstellern. Diese Ausführungen sind für sich genommen aufschlussreich, korrespondieren jedoch nicht mit den im ersten Teil beschriebenen Themen. Eine inhaltliche Verknüpfung von Rezeptionsräumen und Werkstattgesprächen findet nicht statt, obwohl sich alle vier Kinderfilmregisseure auch als Zeitzeugen des transnationalen Austausches zwischen 1979 und 1990 anbieten. Sie reisten mit ihren Filmen zu Aufführungen in die Bundesrepublik oder trafen ihre westdeutschen Kollegen in Gera. Um die verbindenden und trennenden Elemente des interkulturellen Austausches aufzuzeigen, wäre eine inhaltliche Verschränkung beider Teile sinnvoll gewesen.
Ungeachtet dessen regt Klaus-Dieter Felsmanns Untersuchung des Anteils der DEFA am Kinderkino der Bundesrepublik zu weitergehenden transnationalen Forschungen zur Filmgeschichte an. So ergeben sich aus dem Buch Fragen nach möglichen ästhetischen Bezugnahmen der Filme aufeinander sowie zu internationalen Kooperationen der DEFA, die weitere Länder in den Blick nehmen müssten. (Andy Räder)
Andy Räder, Historiker und Medienwissenschaftler, Kurator der Dauerausstellung im Filmmuseum Potsdam. Publikationen: Der Kinderfilm in der Weimarer Republik. In: Horst Schäfer, Claudia Wegener (Hg.): Kindheit und Film. Geschichte, Gegenwart und Perspektiven des Kinderfilms in Deutschland (Konstanz 2009), Aufführung einer gewöhnlichen Geschichte: Zum Performativen in Andreas Dresens HALBE TREPPE. In: Tobias Ebbrecht, Thomas Schick (Hg.): Kino in Bewegung: Perspektiven des deutschen Gegenwartsfilms (Wiesbaden 2011).
Filmblatt 44 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 12.5.2011
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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