Mila Ganeva: Women in Weimar Fashion. Discourses and Displays in German Culture, 1918-1933. Rochester, New York: Camden House 2008. 240 Seiten, Abb.
ISBN 978-1-57113-205-5, $ 75,00
In Women in Weimar Fashion widmet sich Mila Ganeva einem in der akademischen Welt lange vernachlässigtem Thema: der Mode. Diese galt lange als nicht wissenschaftswürdig, und keine Disziplin betrachtete sich als dafür zuständig. Ganeva untersucht das Thema aus kulturwissenschaftlicher Sicht und verbindet dabei Geschichte, Soziologie, Literaturwissenschaft und auch Filmwissenschaft. Ihre Kernthese lautet, dass Mode in Illustrierten, Populärliteratur, Werbung und Film der Weimarer Republik nicht nur als Manipulationsmittel diente, sondern zugleich ein machtvolles Medium weiblichen Selbstausdrucks, weiblicher Selbstvergewisserung und Identitätsfindung war. Die Autorin hinterfragt damit die traditionelle Kritik an der Mode, der zufolge diese letztlich nur ein weiteres antiemanzipatorisches Mittel zur Unterdrückung und Manipulation der Frauen und ein Zeichen der zunehmenden Kommerzialisierung des Alltagslebens gewesen sei.
Ganeva stellt das aktive Modehandeln der Frauen – als Modeschriftstellerinnen, Journalistinnen und Drehbuchautorinnen – der männlich geprägten theoretischen Debatte über die Mode gegenüber. Vertreter dieser Diskussion, namentlich Georg Simmel, Werner Sombart und Thorstein Veblen, betrachteten Mode um 1900 besonders im Hinblick auf ihre Funktion im kapitalistischen System und dessen Verflechtung mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Ferner begriffen sie Mode als ein vornehmlich weibliches System, das Frauen eine Art Ersatzhandeln für die mangelnde politische und gesellschaftliche Partizipation ermöglichte. Mode stand aber auch im Zentrum der weiblichen Erfahrung der Moderne, so Ganeva, nämlich als ein übergreifendes System, das das Alltagsleben der Frauen durchdrang. Durch neue und billige Kleiderstoffe – z.B. Kunstseide – und die „Konfektion“, die die industrielle Fertigung von modischer Kleidung möglich machte, konnten auch jene Frauen an der modischen Entwicklung teilhaben, die weder wohlhabend noch gesellschaftlich arriviert waren und damit nicht über monetäres oder soziales Kapital verfügten. Über die diversen Medien, allen voran die Illustrierten, die Modezeitschriften und der Film, informierten sie sich über die neuesten Trends. Durch Mode erfuhren Frauen sprichwörtlich am eigenen Leibe, welche Auswirkungen die Modernisierung und die Moderne auf ihre Lebensumstände hatten. Zugleich konnten sie damit ihre eigenen Erfahrungen verarbeiten und nach außen tragen. Der von Anne Hollander festgestellte radikale Wandel der Mode in den Jahren von der Jahrhundertwende bis ungefähr 1930, der sich auch in den Filmen jener Zeit widerspiegelt, war demnach das sichtbarste Zeichen für den Einfluss der Moderne auf die Frauen und die Verarbeitung der Moderne durch Frauen.
Am Beispiel von Modejournalistinnen, Drehbuch- und Romanautorinnen, von Mannequins, „Konfektionsmädeln“ und Schauspielerinnen macht Ganeva deutlich, wie der Modediskurs zur Schaffung einer Öffentlichkeit beitrug, in der die weiblichen „Modepraktiker“ von reinen Objekten des männlichen Voyeurismus und visuellen und textuellen Reproduktionen zu aktiv handelnden Subjekten und Gestaltern des ambivalenten und sich ständig verändernden Prozesses der Modernisierung werden konnten. Sie analysiert neben literarischen Texten und ausgewählten Beiträgen und Diskussionen in der Massen- und Modepresse auch Spielfilme der späten 1910er und der 1920er Jahre, um der kulturellen Geografie der Weimarer Moderne, die sie im Sinne von Ute Frevert und Detlev Peukert durch eine mehrdeutige „superficial modernization“ (S. 3) gekennzeichnet sieht, eine weitere Facette hinzuzufügen.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Der erste befasst sich mit den Mode-Diskursen und den Modejournalistinnen, von denen viele – etwa Ruth Goetz und Ola Alsen – auch erfolgreiche Filmdrehbücher schrieben. Der zweite Teil untersucht dagegen die Zurschaustellung der Mode und nimmt die konkreten medialen Erzeugnisse in den Blick. Hier widmet sich Ganeva unter der programmatischen Überschrift „Weimar Film as Fashion Show“ ausführlich dem Weimarer Kino und seiner Affinität zur Mode, d.h. den intermedialen und intertextuellen Beziehungen dieser zwei Bereiche. Als erstes Beispiel zieht sie die „Konfektionskomödien“ heran, die mit den frühen Lubitsch-Filmen ihren Anfang nahmen und sich in der Weimarer Zeit als eigenes Genre etablierten. In diesen Filmen, die hauptsächlich ein weibliches Unter- und Mittelschichtpublikum ansprachen, war die Mode zugleich narratives Element und Teil einer elaborierten Mise en scène. Protagonistinnen dieser Filme waren oft junge Frauen, die hofften, über ihre Arbeit in der Modebranche einen Platz in der modernen Großstadtwelt zu finden. Ganeva untersucht dazu u.a. Richard Eichbergs FÜRST VON PAPPENHEIM (1927), Rudolf Biebrachs DIE DAME, DER TEUFEL UND DIE PROBIERMAMSELL (1919) mit Henny Porten oder auch Ernst Lubitschs Klassiker der frühen Filmkomödie, DER STOLZ DER FIRMA (1914) und SCHUHPALAST PINKUS (1916), denen sie neue Seiten abgewinnt, indem sie ihre Analyse nicht nur auf die Person Lubitschs und den typisch jüdischen Humor fokussiert, sondern diese Aspekte mit Überlegungen zu Geschlecht, Klasse und „visual pleasure“ kombiniert. Heute nicht mehr erhaltene Filme wie Wolfgang Neffs DIE KLEINE AUS DER KONFEKTION (1924) nach einem Drehbuch von Ruth Goetz arbeitet sie anhand von Sekundärquellen auf.
In ihrem zweiten Fallbeispiel konzentriert sich Ganeva auf Brigitte Helms Status als Star auf und jenseits der Leinwand und verbindet dies mit Helms explizitem Beitrag zum Modediskurs ihrer Zeit. Dabei gelingt ihr mit Blick auf die damaligen Modenschauen und „Modekonkurrenzen“ auch eine interessante Neuinterpretation der Tanzszene Brigitte Helms als Roboter-Maria in METROPOLIS (1927). Indem Ganeva so die bislang wenig erforschte wechselseitige Beeinflussung von Film und Mode beleuchtet, kommt sie zu einer Neubewertung der Rolle von Mode und Film im Kontext der Weimarer Moderne.
Abschließend betrachtet sie die Arbeit der Mannequins und „Probiermamsells“ und kontrastiert hier die zuvor analysierten, im Film und in der Populärliteratur geschaffenen Bilder mit den realen Arbeitsbedingen der jungen Frauen. Exemplarisch untersucht Ganeva dazu Irmgard Keuns Roman Gilgi, eine von uns (1931), und bietet neue Einsichten in die multiplen Facetten der zeitgenössischen Diskussion um Mode und Moderne. Anhand dieses Romans arbeitet sie die ambivalente Position der Neuen Frau zwischen emanzipatorischem Potential und alltäglicher Realität und zwischen Selbstverwirklichung und Anpassung heraus. Mode erweist sich so als paradoxer Raum, der diese Zwiespältigkeit reflektiert.
An Ganevas sorgfältig recherchierter und anschaulich geschriebener Studie ist auch für Filmwissenschaftler nicht nur jener Teil interessant, der sich explizit mit Film beschäftigt. Vielmehr arbeitet das gesamte Buch Parallelen heraus zwischen der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Mode und Film; beides Komponenten der Populärkultur, die wie keine anderen Glanz und Glamour versprachen und mediale Systeme waren, die die Erfahrungen der Moderne auf sehr direkt Art und Weise widerspiegelten und eine weibliche Nische in der Massenkultur bildeten. (Andrea Haller)
Andrea Haller, Filmhistorikerin und Kuratorin am Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main. 2009 Promotion an der Universität Trier zum Thema Programmgestaltung und weibliches Kinopublikum im Kaiserreich. Publikationen und Vorträge zu lokaler Kinogeschichte, Programmgeschichte, Filmromanen, Kino und Publikum, Kino und Mode. Mitglied von CineGraph Babelsberg. Zuletzt erschien von ihr: Film, Fashion and Female Movie Fandom in Imperial Germany. In: Not so silent. Hg. von Sofia Bull und Astrid Söderbergh Widding (Stockholm 2010).
Filmblatt 43 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 9.11.2010
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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