Philipp Stiasny: Pädagogen, Fräuleins, kalte Krieger. Deutsche Filmgeschichte zwischen Kriegsende und Mauerbau
Die Niederlage im Mai 1945 mag für Deutschland keine Stunde Null markiert haben, aber ganz sicher einen beispiellosen Einschnitt. Zu deutlich waren die Folgen des verlorenen Krieges für alle zu spüren und zu sehen. Zu den längst zerstörten Städten, den Trümmer- und Leichenbergen, den Witwen und Waisen, dem zahlenmäßigen Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern, dem Nahrungsmangel und der Orientierungslosigkeit kam die militärische und administrative Okkupation des Landes und die Einsetzung neuer Autoritäten hinzu. Mit dem nationalsozialistischen Regime endete auch ein einheitlicher deutscher Staat, und der sich rasch herausbildende Gegensatz der Systeme in West und Ost führte zur Gründung zweier deutscher Staaten, die sich im Zeitalter des Kalten Krieges ganz unterschiedlich entwickelten. Manche dieser Kriegsfolgen haben die Geschichte Deutschlands und Europas über Jahre geprägt, andere über Jahrzehnte, ja bis heute. Neben den Einschnitten und Brüchen gab es freilich Kontinuitäten im gesellschaftlichen, personellen, ideologischen und kulturellen Bereich, darunter solche, die als positiv und solche, die als negativ zu bewerten sind. Genau diese Gemengelage mit ihren Begrenzungen und Optionen für eine bessere Zukunft macht die Nachkriegsjahre, die Zeit des Wieder- und Neuaufbaus und des Kalten Krieges zu einem weiterhin spannenden Forschungsgebiet. Das gilt auch für die Filmgeschichte, wie eine Reihe jüngerer Publikationen zeigt, die sich auf die deutsch-amerikanischen und deutsch-deutschen Filmbeziehungen zwischen Kriegsende und Mauerbau konzentrieren und darüber hinaus Entwicklungslinien in die Kriegszeit zurückverfolgen. Sie ergänzen einander teilweise nahtlos, weil bestimmte Gegenstände und Themen immer wieder auftauchen und aus mehreren Perspektiven untersucht werden. Dazu gehören die alliierten Bemühungen um eine politische und kulturelle Umerziehung und die Heranführung des einen deutschen Staates an Amerika und des anderen an die Sowjetunion im Zuge des Ost-West-Konfliktes, ganz wesentlich aber auch die Bedeutung der Geschlechterverhältnisse. Bislang kaum erforscht worden sind die Spielfilme aus Hollywood, die nach dem Krieg zum Zweck der Umerziehung in den deutschen Kinos liefen – im Unterschied zu den dokumentarischen Atrocity- und Reeducation-Filmen der Amerikaner, deren Einsatz zuletzt Cora Sol Goldstein in Capturing the German Eye: American Visual Propaganda in Occupied Germany (2009) untersucht hat. Mit ihrem Buch Theaters of Occupation schafft Jennifer Fay hier Abhilfe. Wie kann unter den höchst unfreien Bedingungen der Besatzung und der Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und Kommunismus eine Erziehung hin zu einem demokratischen, toleranten und freiheitlichen Menschenbild aussehen? Kann überhaupt eine Erziehung zur Demokratie gelingen, die von gewaltsam inthronisierten, mit allen Machtbefugnissen ausgestatteten Autoritäten, also von oben herab bestimmt wird? Welcher Mittel bedient sich die Umerziehung im Illusionsmedium Film
Wie werden aus früheren Nazis gute Demokraten und Freunde der Amerikaner? Bei der Suche nach Antworten verknüpft Fay filmhistorische Fallstudien auf intelligente Weise mit Ausführungen zu zeitgenössischen Demokratisierungskonzepten und den Planungen und Maßnahmen der amerikanischen Militäradministration im Mediensektor. Ihre Monografie schlägt damit einen Bogen vom propagandistischen Kampf der Amerikaner gegen die Nationalsozialisten vor 1945 hin zu einem Selbstverständnis als Schutzmacht der Deutschen im Zuge der Berliner Luftbrücke 1948, als aus ehemaligen Feinden neue Verbündete werden. Am Anfang steht die Analyse von Leslie Fentons Anti-Nazifilm TOMORROW – THE WORLD! (1944), der die Umerziehung eines fanatischen Hitlerjungen zu einem guten Amerikaner vor Augen führt. Der Erfolg des Unternehmens vollzieht sich dabei vor allem auch auf visueller Ebene: Am Ende legt der Junge seine HJ-Uniform ab und ist nicht mehr unterscheidbar von „gewöhnlichen“ Zivilisten. Diese Form der Assimilation akzentuiert die sichtbare Veränderung und lässt die Möglichkeit außer acht, dass hier keine innerliche, wirkliche Hinwendung zur Demokratie, sondern nur eine äußerliche, rein performative Anpassung stattfindet. Fay pointiert diese Beobachtung noch, indem sie auf die narrativen und visuellen Parallelen zwischen diesem Anti-Nazifilm und HITLERJUNGE QUEX (1933) hinweist. In der Vorstellung, richtiges oder falsches Bewusstsein sei gewissermaßen an der Physiognomie und am äußerlichen Verhalten ablesbar, manifestiert sich für Fay ein Menschenbild, das rassistischen Stereotypen Vorschub leistet und das vom Hollywoodkino immer wieder gefördert wird. Das zeige die Darstellung ethnischer Minderheiten in den USA, deren Gesichter und Körper ausgestellt würden, um das Publikum für die Unterscheidung zwischen guten, assimilationswilligen Immigranten und bösen Ausländern zu schulen. Während TOMORROW – THE WORLD! auch nach dem Krieg nicht in Deutschland herausgebracht wird, exportieren andere Hollywoodfilme ein Selbstverständnis, das unterschwellig von rassistischen, nationalistischen und Gewalt verherrlichenden Ideen grundiert ist. Darunter sind vor 1945 entstandene Kriegsfilme mit mörderischen deutschen Offizieren, Spionagethriller mit verschlagenen Japanern und mythische Western, die den Kampf um die Gründung einer amerikanischen Nation mit dem Kampf gegen die Indianer, gegen die ethnisch Anderen verknüpfen und daraus vorbildhafte und lehrreiche Beispiele ableiten. Alle diese Filme werden von der amerikanischen Verwaltung in ihr Reeducation-Programm aufgenommen, doch ihr Heldenpathos erinnert manchen deutschen Zuschauer auf fatale Weise an nationalsozialistische Propagandafilme. Mit einem ironischen Seitenhieb spricht der Kritiker Gunter Groll deshalb 1946 von einer Renazifizierung. Mit Feinbildern arbeitet auch ein parodistischer Film wie Ernst Lubitschs NINOTSCHKA (1939), der 1948 in Deutschland läuft. Er steht im Zentrum einer offiziellen amerikanischen Kampagne zu Beginn des Kalten Krieges, die für Klarheit bei der Entscheidung zwischen Kapitalismus und Kommunismus sorgen soll. Gerade diese Entscheidung, die für die nach wie vor von den Besatzungsmächten kontrollierten Deutschen gar nicht frei sein konnte, wird in Helmut Käutners DER APFEL IST AB (1948) satirisch kommentiert, dessen Held unfähig ist, zwischen zwei Extremen zu wählen. Das beispielsweise in der amerikanisch-britischen Wochenschau WELT IM FILM klar erkennbare Bemühen, den Kapitalismus als quasi natürliche, unbedingt anstrebenswerte Lebensform hinzustellen, stößt angesichts der schizophrenen Grundsituation auf wenig Gegenliebe beim deutschen Publikum. Verantwortlich ist dafür nicht die grundsätzliche Ablehnung von Demokratie und Kapitalismus, sondern die aufdringliche mediale Beeinflussung. Dass amerikanische Filme aber auch ganz reale Erfahrungen der Okkupierten bündeln und eigensinnige Lesarten hervorbringen können, will Fay an jenem Subgenre des Thrillers demonstrieren, das sie als „female gothic“ oder „paranoid woman’s film“ bezeichnet. Im Mittelpunkt ihrer Analyse, die der Theorie eines „gothic feminism“ folgt, steht George Cukors Film GASLIGHT (1944), der 1948 in Westdeutschland unter dem Titel DAS HAUS DER LADY ALQUIST großen Erfolg hat. Vor allem Frauen hätten sich mit der in GASLIGHT ausagierten weiblichen Subjektivität identifizieren können, weil es auch hier – wie im Leben – um eine männliche Inbesitznahme oder Okkupation geht und der Film genau das im häuslichen, also weiblichen Bereich ansiedelt. Viele Reeducation-Filme empfehlen die Besatzungsmacht als Vorbild und erwarten von den Deutschen eine – wenn auch nur nachahmende – Identifikation mit den Werten und dem Lebensstil der Besatzer. Im Gegensatz dazu muss die von Ingrid Bergman verkörperte Heldin in GASLIGHT lernen, dem vermeintlichen Schutz des Mannes zu misstrauen, die traumatischen Erlebnisse der Vergangenheit nicht länger zu verdrängen und sich vom Mörder im eigenen Haus zu emanzipieren. Somit fördere der Film eine nach der Erfahrung des Nationalsozialismus bedeutsame Geisteshaltung: eine rational begründete Skepsis. Indem das Hollywoodkino ungewollt ein Abbild der widersprüchlichen, von Gewalt geprägten Verhältnisse in Amerikas Vergangenheit und Gegenwart liefere, leiste es demnach mit der Erziehung zur Skepsis einen wesentlichen Beitrag zur Reeducation. Wie reagieren die Besiegten auf die Reeducation-Bemühungen? In dem mit amerikanischer Lizenz und deutschem Personal gedrehten Film HALLO, FRÄULEIN! (1949) von Rudolf Jugert muss sich eine junge Sängerin (Margot Hielscher) kurz nach Kriegsende zwischen einem ernsten deutschen Kriegsheimkehrer (Hans Söhnker) und einem lässig-maskulinen, jazzvernarrten amerikanischen Besatzungsoffizier (Peter von Eyck) entscheiden, der den Erfolg der Reeducation und Demokratisierung daran bemisst, wie gut die Deutschen später Jazzmusik spielen. Für Fay bildet der Film auf schlagende Weise die Gefahr eines bloß performativ vollzogenen, auf Imitation basierenden politischen Wandels und damit die Grenzen einer demokratischen Pädagogik ab. Die Aneignung (und Eindeutschung) des Jazz erlaubt den Okkupierten außerdem, eine überkommene deutsche Ideologie abzuschütteln und eine demokratische, multikulturelle Identität anzunehmen – allerdings auf Kosten der afroamerikanischen und jüdischen Elemente des Jazz, die bewusst ausgeblendet würden. „If the Nazis code jazz culture as biology, then postwar Germans code jazz as an ideology in which the principles of democracy remain as elusive as the races the film abandons, a lesson learned from their American occupiers.“ (S. 135) Jennifer Fay, deren Studie mit Blick auf den Zeitraum und die Themenauswahl interessante Überschneidungen mit dem von Harro Segeberg herausgegebenen Sammelband Mediale Mobilmachung II. Hollywood, Exil und Nachkrieg (2006) aufweist, legt mit Theaters of Occupation ein gut geschriebenes, meist anschaulich argumentierendes Buch vor. Dass ihre Interpretationen nicht immer in der vielleicht wünschenswerten Weise durch Quellen abgesichert sind, ist kein besonderes Manko. Im Fall von GASLIGHT fallen etwa Fays Aussagen über historische Rezeptionen ziemlich theoretisch aus, und nicht alle Schlüsse wird man teilen können. Das stört aber nicht weiter, denn solange eine gewisse Plausibilität gewahrt bleibt, ist Fantasie im Umgang mit historischem Material ja sehr zu begrüßen. Das betrifft auch Fays provokative Grundaussagen: Sie unterstreicht die Zweckorientierung des Reeducation-Programms, in dem die Erziehung zur Demokratie, die Bejahung der kapitalistischen Werteordnung und der Antikommunismus verschmelzen. Zudem weist Fay auf die Doppelmoral der amerikanischen Besatzer hin, die Demokratie, Freiheit und Toleranz predigen, aber selbst nicht praktizieren. Im Gegenteil: In ihren Spielfilmen lassen sie Rassismus und autoritäre Machtverhältnisse unhinterfragt. Besonders augenfällig ist der Widerspruch zwischen dem vermeintlich toleranten Umgang mit assimilationswilligen Einwanderern und dem so unterbreiteten Angebot an die Besiegten auf der einen Seite und der tatsächlichen Diskriminierung farbiger Amerikaner auf der anderen Seite. Beschädigt werden dadurch sowohl die Glaubwürdigkeit des Besatzungsregimes wie die von ihm vertretenen Werte und Menschenrechte: Eine Kritik, die Fay auch sehr deutlich auf das amerikanische Engagement im Irak münzt.
Fräuleins und GIs. Einem viel geschmähten Produkt der Besatzungszeit gilt Annette Brauerhochs Interesse: dem „Fräulein“ – einer ungebundenen, sexuell aktiven jungen Frau, die in harten Zeiten ihren Hunger nach Leben stillen will, die dem Vergnügen und dem Konsum frönt, die mit Schamlosigkeit, Untreue und Ehrverlust assoziiert und aufgrund ihrer Nähe zu den Besatzungssoldaten als „Amiflittchen“ oder „Amizone“ geächtet wird. Das „Fräulein“ verkörpert den moralischen Ruin und fügt den deutschen Männern eine zweite Niederlage zu, indem sie sich mit den Siegern einlässt. Diese Stereotype hat sich Brauerhoch in Fräuleins und GIs vorgenommen mit dem Ziel, die historische Figur des „Fräuleins“ samt dem weiblichen Anspruch auf Sexualität aus feministischer Perspektive zu rehabilitieren. Entstanden ist daraus eine mit Leidenschaft geschriebene, höchste bemerkenswerte deutsch-amerikanische Film-, Sozial- und Kulturgeschichte der Jahre 1945 bis 1961, in der dem Film als Dokument und Archiv eine eigene Form der Geschichtsschreibung zugebilligt wird. Das „Fräulein“ erscheint hier als eine Art Negativbild der gesellschaftlich engagierten und mütterlichen, Ordnung schaffenden und zum nationalen Symbol gewordenen „Trümmerfrau“. Zudem erscheint das „Fräulein“ als Gestalt, die durch den Kontakt zur Figur des amerikanischen GI für die Amerikanisierung, Öffnung und Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft viel mehr getan hat als die sonst oft zitierte, männlich dominierte Kultur der Halbstarken. Das Private (die Gefühls- und Sexualbeziehungen) und das Politische (die Nationalität, die Besatzungsherrschaft, das Militärregime) geraten in der zigtausendfach gelebten Beziehung von „Fräulein“ und GI in Schwingung, worin Brauerhoch die originär weibliche Aneignung einer differenten Kultur, eine Form weiblicher Rebellion und Gegenkultur „nicht nur in der ‚befreiten’ Sexualität, sondern auch in der Abkehr von nationalsozialistischer Vergangenheit und der Ablehnung nationalspezifisch geprägter Formen von [deutscher] Männlichkeit“ sieht (S. 21). In historischen und soziologischen Abhandlungen, in Presseberichten, Romanen und Illustrierten, in Dokumentarfilmen, Wochenschauen und vor allem in Spielfilmen findet Brauerhoch die Spuren einer vergangenen Realität, die sie nicht als einseitige Geschichte von Opfern, von Unterwerfung, Ausbeutung und Gewalt begreift. Ein zentraler Befund ist, dass im Gegensatz zu den oftmals gehässigen und sexistischen Klischees vom „Fräulein“, die in den Textmedien verbreitet werden, im Film und hier wiederum speziell in den amerikanischen und in mehreren von Emigranten gedrehten Filmen vergleichsweise moderate, versöhnliche Bilder vorherrschen. Für Brauerhoch, der es auf die bedeutungsvollen Widersprüche und Feinheiten ankommt, ist das „Fräulein“ eine Grenzgängerin, an deren Erfahrungen sich die wandelnden Konfliktlinien, die Brüche und Kontinuitäten im Kalten Krieg quasi aus einer Doppelperspektive beschreiben lassen: Wie betrachten die Amerikaner die Deutschen, wie die Deutschen die Amerikaner? Die thematische Bandbreite des Buches reicht von behördlicher amerikanischer Propaganda zur Vorbereitung der Soldaten auf ihren Kriegseinsatz in Europa und dem darin präsentierten Deutschlandbild, vom Fraternisierungsverbot, dem Leben in Trümmern und der Heimkehr der deutschen Soldaten, von der Luftbrücke als Wendepunkt im deutsch-amerikanischen Verhältnis, dem Umgang mit „Besatzungskindern“ bis zu den geänderten Bedingungen im Miteinander von Besatzern und Besetzten im Alltag der 1950er Jahre. Wie Fay dienen Brauerhoch sowohl amerikanische wie deutsche, vielfach von Zensur betroffene Filme als Quellen, darunter Gerhard Lamprechts IRGENDWO IN BERLIN (1946), Peter Pewas’ STRASSENBEKANNTSCHAFT (1948), George Seatons THE BIG LIFT (1950), John Brahms DIE GOLDENE PEST (1954) und Samuel Fullers VERBOTEN! (1958). Vergleichend analysiert Brauerhoch auch Henry Kosters FRAULEIN (1956) mit seiner amerikanischen Romanvorlage und seiner an einem neuralgischen Punkt umgearbeiteten deutschen Übersetzung, in der nämlich das „Fräulein“ keine sexuelle Beziehung zu einem schwarzen GI haben darf. Weil er nicht „realistisch“ genug ist, fällt leider GI BLUES (1961) mit Elvis Presley, dem berühmtesten aller amerikanischen Besatzungssoldaten, aus dem Korpus heraus. (Mit THE BIG LIFT und FRAULEIN, aber eben auch mit GI BLUES befasst sich Robert R. Shandley zumindest knapp in Runaway Romances. Hollywood’s Postwar Tour of Europe (2009), einer Studie über romantisch eingefärbte, in Europa on location gedrehte Reisefilme, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Begegnung zwischen Amerikanern und Europäern erzählen. Shandleys wichtigstes Beispiel hierfür ist A FOREIGN AFFAIR (1948) von Billy Wilder, der mit ONE, TWO, THREE (1961) einen weiteren prominenten Beitrag zum Subgenre der „travelogue romance“ lieferte.) Ausführlich untersucht Brauerhoch Robert Stemmles TOXI (1952) über das schwarze „Besatzungskind“ Toxi, das in eine weiße deutsche Familie hineinplatzt und damit die Revision rassistischen Denkens einleitet. Zu guter letzt wird freilich Toxis familiäre und rassische Zugehörigkeit zu ihrem schwarzen Vater aus Amerika festgestellt und somit die weiße, patriarchalische Idealfamilie geläutert und restauriert. Zugunsten des Happy Ends wurde eine düstere, stärker sozial appellative Drehbuchfassung gekippt, der zufolge der weiße Großvater ein anderes schwarzes „Besatzungskind“ aus dem Heim zu sich holt. Für Brauerhoch, die den Film als indirekte Auseinandersetzung mit dem Rassismus der Nationalsozialisten begreift, tritt das schwarze Kind „an die Stelle der getöteten Juden und erfährt als stellvertretende Andere ‚Wiedergutmachung’.“ (S. 233) Zugleich rührt dieser Film im deutsch-amerikanischen Vergleich an ein Tabu, weil die (in TOXI quasi nur in ihren Folgen gezeigte) Darstellung einer „gemischtrassigen Beziehung“ laut Hollywoods Production Code verboten war. Dies ist bloß eines von mehreren Beispielen für das auch von Fay kritisierte Nebeneinander von amerikanischem Liberalismus und anti-schwarzem Rassismus und darüber hinaus ein Beispiel für eine merkwürdige Verwandtschaft: Die Figuren des Schwarzen und des „Fräuleins“ verbindet, dass beide in ihren Gesellschaften Bürger zweiter Klasse sind, beide sexualisiert erscheinen und beide äußerlich erkennbar, also sichtbar sind; beide sind „grenzüberschreitende, phantasieanregende Figuren“ (S. 483). (Mehr zu TOXI demnächst in Angelica Fenners Buch Race under Reconstruction in German Cinema. Robert Stemmle’s TOXI, 2011). Wie Fay widmet sich Brauerhoch auch ausführlich HALLO, FRÄULEIN! (1949), den sie dem in Deutschland erst Jahrzehnte später gezeigten Film A FOREIGN AFFAIR (1948) gegenüberstellt. Während Wilder die Verführungskunst des „Fräuleins“ über die politische Macht triumphieren lasse und auf humorvolle Weise Partei für den freiheitlichen, womöglich subversiven Lebenshunger junger Frauen ergreife, wolle HALLO, FRÄULEIN! die alte, männlich-patriarchalische Ordnung wiederherstellen und vertrete damit eine nationale Ideologie. Auf den ersten Blick geht es in HALLO, FRÄULEIN! um die Attraktivität amerikanischer Männer für deutsche Frauen, auf den zweiten Blick dagegen um die Auseinandersetzung unter Männern um Männlichkeit; dementsprechend sind die Körper der Figuren in denunzierender Absicht codiert als deutsch oder amerikanisch (bzw. schwarz). Am Ende entscheidet der deutsche Kriegsheimkehrer, der zunächst als Verlierer und Erniedrigter erscheint, die Konkurrenz der beiden so unterschiedlichen Körper- und Männlichkeitsideale zwischen dem jugendlich-charmanten Draufgänger und dem reifen, tief fühlenden Liebenden für sich. Margot Hielscher rettet gewissermaßen die Ehre des „Fräuleins“ und der Nation: „Warten auf den richtigen (deutschen) Mann, ist, im Angesicht hunderter zwar verführerischer, aber umso deutlicher ‚unrichtiger’ amerikanischer Männer, mehr denn je die Bestimmung und Aufgabe der deutschen Frau.“ (S. 411) Wo sich die Heldin von HALLO, FRÄULEIN! noch gegen das Image des „Fräuleins“ wehren muss, da wird in Helmut Käutners SCHWARZER KIES (1961) das „Fräulein“ zu einer zurückliegenden, den Lebens- und Überlebensbedingungen der frühen Nachkriegszeit geschuldeten Episode in der Biografie einer nun respektierten deutschen Gattin eines amerikanischen Besatzungsoffiziers. Letzterer steht für Bürgerlichkeit, Sicherheit und Ordnung, im Gegensatz zu seinem Rivalen, dem sexuell attraktiven, lässigen und selbstbewussten deutschen Kriegsveteranen und Abenteurer: Die Rollenmuster deutscher und amerikanischer Männlichkeit sind hier vertauscht, und der Film gibt „dem deutschen Mann das zurück, was ihm die ‚Fräuleins’ scheinbar genommen hatten, und er erkennt die Frauen gleichzeitig in ihrer Sexualität an.“ (S. 470) Neu ist die Nüchternheit von SCHWARZER KIES, in dem Liebesbeziehungen nicht mehr für moralische Lektionen instrumentalisiert werden. Politisch nimmt der Film Stellung in der Frage der Gleichberechtigung: „In ihrer Suche nach Glück, die sie zu tragischen, frivolen oder romantischen Statthalterinnen der Lebendigkeit werden läßt, macht SCHWARZER KIES keinen Unterschied (mehr) zwischen deutscher Ehefrau und deutschem Nachkriegsfräulein.“ (S. 475f) Während sich die Studien von Fay und Brauerhoch um die Erforschung der Filmbeziehungen zwischen Amerika und Westdeutschland verdient machen, widmen sich Anja Horbrüggers Marburger Dissertation mit dem etwas thesenschweren Titel Aufbruch zur Kontinuität – Kontinuität im Aufbruch sowie mehrere Beiträge des von Thomas Lindenberger herausgegebenen Sammelbandes Massenmedien im Kalten Krieg vor allem der deutsch-deutschen Filmgeschichte der 1940er und 1950er Jahre. Am besten erforscht sind aus dieser Zeit die sogenannten Trümmerfilme, mit denen sich gerade in den letzten Jahren wieder mehrere Arbeiten auseinandergesetzt haben: Neben Robert R. Shandleys 2001 zunächst auf Englisch und 2010 auch auf Deutsch erschienener Monografie Trümmerfilme. Das deutsche Kino der Nachkriegszeit (siehe die Rezension der amerikanischen Ausgabe in Filmblatt 23, 2003, S. 70 f.) gehört dazu auch der von Wilfried Wilms und William Rasch herausgegebene Sammelband German Postwar Films. Life and Love in the Ruins (2008), der unter anderem Aufsätze über BERLINER BALLADE (1948), A FOREIGN AFFAIR (1948) und LIEBE 47 (1949) enthält. Speziell die Figur des Heimkehrers und eine diagnostizierte Krise der Männlichkeit im frühen Nachkriegsfilm stehen im Zentrum von Jaimey Fishers Disciplining Germany. Youth, Reeducation, and Reconstruction After the Second World War (2007) und Anke Pinkerts Film and Memory in East Germany (2008). Fisher rückt zudem den Diskurs über eine Jugend, die nach Jahren der Indoktrination umerzogen werden muss, ins Licht und analysiert zu diesem Zweck die DEFA-Filme IRGENDWO IN BERLIN (1946) und ROTATION (1949) sowie die im Westen gedrehten Filme WEGE IM ZWIELICHT (1948), UND ÜBER UNS DER HIMMEL (1947) und DER RUF (1949). Pinkert wiederum kontrastiert die schwachen Männerfiguren in DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946), IRGENDWO IN BERLIN, WOZZECK (1947) und UNSER TÄGLICH BROT (1949) mit dem Ausdruck weiblicher Subjektivität in den DEFA-Filmen ROMAN EINER JUNGEN EHE (1952) und FRAUENSCHICKSALE (1952) bis SONNENSUCHER (1958). Wie in diesen Studien geht es auch bei Horbrügger um den filmischen Diskurs über die nationalsozialistische Vergangenheit, über Verstrickung, Schuld und Erinnerung; ein Thema, das überdies Jennifer M. Kapczynski in The German Patient. Crisis and Recovery in Postwar Culture (2008) fallstudienartig an DER VERLORENE (1951) bearbeitet hat.
Deutsch-deutsche Geschlechterentwürfe. Anja Horbrügger interessiert sich in ihrer vergleichenden Studie zum ost- und westdeutschen Nachkriegsfilm der Jahre 1946 bis 1952 vor allem für die vom Vergangenheitsdiskurs nicht abtrennbare Frage, wie im Film hegemoniale und abweichende Geschlechterbilder inszeniert werden. Ihr Untersuchungskorpus, das sich mit dem von Shandley, Fisher und Pinkert überschneidet, umfasst 18 Filme und beschränkt sich bewusst nicht auf die Phase bis zur Gründung der beiden Staaten im Jahr 1949, sondern bezieht auch danach entstandene Filme ein, die ihrer Ansicht nach die Entwicklungen der 1950er Jahre vorwegnehmen. Neben den auch von Fay und Brauerhoch analysierten Titeln STRASSENBEKANNTSCHAFT (1948), DER APFEL IST AB (1948) und HALLO, FRÄULEIN! (1949) untersucht Horbrügger unter anderem die DEFA-Produktionen RAZZIA (1947), BÜRGERMEISTER ANNA (1950) und ROMAN EINER JUNGEN EHE (1952) sowie die westdeutschen Produktionen DAS VERLORENE GESICHT (1948), HAFENMELODIE (1949), DIE SÜNDERIN (1951) und DER VERLORENE (1951). Ihre Bezugsgrößen sind dabei feministische, poststrukturalistische und psychoanalytische Theorien sowie Überlegungen zur sozialen Konstruktion der Kategorie Geschlecht. Die Filmanalysen selbst lassen die Geschichte von Produktion, Distribution und Rezeption weitgehend außen vor und konzentrieren sich stattdessen auf narrative und gestalterische Elemente. Was für Geschlechterentwürfe präsentieren die ost- und westdeutschen Nachkriegsfilme? Wie verhalten sie sich zu den gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Entwicklungen in einer Zeit, in der beide Landesteile auch aufgrund ihrer rivalisierenden Besatzungsmächte auseinanderdriften? Auf welche Weise sind die filmischen Repräsentationen von Geschlecht eingebunden in politische Legitimierungsbemühungen und den Streit der Systeme? Im Fokus stehen hier weibliche und männliche Geschlechterentwürfe zwischen Neuanfang und Kontinuität, zwischen dem Aufscheinen einer weiblichen Selbstbestimmung im Trümmerfilm und einer früh erkennbaren „Re-Etablierung patriarchaler Normen“ (S. 253). Markant ist der Konflikt zwischen aktiven Frauen in einer phasenweise männerlosen Gesellschaft und den um ihren Status ringenden, zunächst passiv und leidend dargestellten Kriegsheimkehrern. Die Filme beteiligen sich an der Definition von Rollen für Frauen und Männer, sie präsentieren neu entstandene und wieder schwindende Handlungsräume und bilden gesellschaftliche und politisch-ideologische Herrschaftsverhältnisse ab. Sowohl im Westen wie im Osten arbeiten Horbrügger zufolge bereits die Trümmerfilme mit an der „Reparatur des ‚kaputten Phallus’“ (S. 118), d.h. an der Rehabilitation der Heimkehrer, die zunächst als krank und gebrochen gezeichnet werden. Ihrer Heilung dient die Idealisierung der anpackenden und im Leben stehenden, aber auch treu und tugendhaft auf ihren Ehemann wartenden „Trümmerfrau“, die Dämonisierung der hier und dort auftretenden negativen Gestalt der Femme fatale und die Domestizierung jener Frauen und „Fräuleins“, die vom Pfad der Tugend abgekommen sind und zurück in die patriarchalische Gesellschaftsordnung geführt werden müssen. Wenn der westdeutsche Film mitunter aktive, selbst handelnde Frauen zeige, die Grenzen überschreiten, dann sei das stets nur ein Zwischenstadium, so die Autorin; tatsächlich münde die weitere, meist melodramatische Entwicklung der Heldinnen entweder im Tod oder im Erstarren weiblichen Begehrens, dem Verlust weiblicher Subjektivität und der Festschreibung weiblicher Passivität. Propagiert werde der Rückzug der Frau aus dem öffentlichen, männlichen konnotierten Raum in den privaten, geschlossenen, „weiblichen“ Raum, womit eine weitgehende Ausblendung zeitnaher, politisch aufgeladener Probleme – auch des Ost-West-Konfliktes und der Feindbildproduktion – einhergehe. Der Eskapismus, der für Horbrügger das bundesdeutsche Kino der 1950er Jahre bestimmt, werde hier vorweggenommen. In den Augen der Autorin förderte der DEFA-Film nur scheinbar grundsätzlich andere Geschlechterentwürfe mit politisch progressiven Heldinnen und männlichen Antagonisten, die für Reaktion, Faschismus und Kapitalismus stehen. Die Emanzipation der Frauen meine nämlich vor allem ihre Mobilisierung zum Zweck der Produktivitätssteigerung und ihre Einbindung in die Politik; der Preis dafür seien der Verzicht auf Sinnlichkeit und Lust und die Überführung einer individuellen Identität in eine von Schuld und Mittäterschaft bereinigte kollektive Identität. So deutlich manche DEFA-Filme auch mit den konventionellen Geschlechterentwürfen des Genrefilms brechen und Frauen den Zugang zum öffentlichen Raum erlauben, so sehr dienten diese Veränderungen doch einem keineswegs emanzipatorischen Ziel: „Der autoritäre Staat tritt in die Fußstapfen des autoritären Mannes, das neue Gesellschaftsmodell löst das ‚alte’ Geschlechtermodell scheinbar ab, um es unter anderen Vorzeichen gleichzeitig zu zementieren.“ (S. 251) Die Leistung von Horbrüggers Arbeit besteht weniger darin, dass sie der Forschung zum frühen Nachkriegsfilm, die seit längerem auch dem Geschlechterdiskurs viel Gewicht beimisst, generell neue Impulse gibt, sondern vor allem im Beharren darauf, dass die oben skizzierte Entwicklung nicht ohne Widersprüche verlief. Im Gegenteil, die Filme brachten auch nichtkonforme, womöglich subversive Vorstellungen von Geschlecht zum Ausdruck. Außerdem war vor 1949 eine gewisse Diffusion der Geschlechterrollen zu beobachten. An der restaurativen Grundausrichtung des Kinos der 1950er Jahre, die die Autorin ein bisschen zu oft behauptet, ändert dieser Befund nichts. Ein Manko der Arbeit ist der Hang zu unnötig komplizierten Formulierungen und Satzkonstruktionen und der zähflüssige und stellenweise arg geballte Jargon (allein auf der letzten Seite spricht Horbrügger von „Geschlechterordnung“, „Geschlechtercodes“, „Geschlechterrollen“, „Geschlechterdifferenzen“, „Geschlechterbildern“, „Geschlechterentwürfen“, „Geschlechterkonzepten“, „Geschlechterdiskursen“ usw.). Zwar kann an dieser Stelle der Ertrag für die Gender-Forschung nicht prognostiziert werden, doch hätte Horbrüggers Arbeit ein weniger enggefasster theoretischer Rahmen sicher gut getan – und dazu die Gelassenheit, auch einmal Fragen zu stellen, ohne die Antworten gleich mitzuliefern. Einige Fragen als Anregung: Ist es angesichts bedeutender Filmschaffender, die zwischen einer Anstellung bei der DEFA und westdeutschen Produktionsfirmen hin- und herpendelten, eigentlich sinnvoll, schon früh einen qualitativen Ost-West-Gegensatz anzunehmen? Und kann man etwa die Filme der Hamburger Real-Film GmbH (darunter HAFENMELODIE) – produziert von Gyula Trebitsch und (dem Kommunisten) Walter Koppel, die beide als Juden in Konzentrationslagern interniert worden waren – einfach in einen Sack stecken mit anderen Filmen aus der britischen oder amerikanischen Besatzungszone? Und wenn man die von Horbrügger vermissten Vamps und ungezügelt sinnlichen Frauen nicht in den ausgewählten Filmen antrifft, so wäre es vielleicht sinnvoll, nicht nur auf die Narration und die aufgesetzte Moral der Konfliktlösungen zu achten, sondern auch auf die außerfilmische, öffentliche Präsenz von Schauspielerinnen wie Hildegard Knef und Marianne Hoppe. Womöglich füllten ja auch ausländische Stars die Rolle der Femme fatale bereits aus; immerhin dürften zumindest dem westdeutschen Publikum Ende der 1940er Jahre die gefährlichen Verführerinnen des Film Noir wie Barbara Stanwyck und Rita Hayworth geläufig gewesen sein. Und zur patriarchalischen Moral: Könnte es nicht sein, dass ein zu großen Teilen aus Frauen bestehendes Kinopublikum weniger an der Moral interessiert war als an anderen Reizen? Was bedeuten müsste, eigensinnige Lesarten der Filme, ihren Konsum und ihre Aneignung durch weibliche Adressaten genauer und stärker auf historische Quellen gestützt zu erforschen.
Der Kalte Krieg als Medienkrieg. Die Spannungen, die sich aus dem Pendeln zwischen Ost und West, zwischen kommunistischem und kapitalistischem System ergaben, der Import sowjetischer Filme in die DDR, die Verschmelzung von Unterhaltung und Propaganda im Spionagefilm und der Stellenwert von Konsumbildern für eine spezifische Kultur des Kalten Krieges sind Gegenstand von Aufsätzen in dem Band Massenmedien im Kalten Krieg. Der Band enthält auch Aufsätze über den Antikommunismus in der westdeutschen Publizistik der 1950er Jahre (Markus M. Payk), über Hörfunkkommentare der katholischen Kirche (Christine Bartlitz), die geschlechterpolitische Inszenierung der sogenannten Schlüsselkinder (Uta C. Schmidt) und den Programmaustausch des DDR-Fernsehens mit westlichen Staaten seit den 1960er Jahren (Thomas Heimann). Im Zentrum des Bandes steht das Bemühen, den Kalten Krieg als einen Propagandakrieg kulturgeschichtlich einzubetten und die auf die Delegitimierung des gegnerischen und auf die Legitimierung des eigenen Gesellschaftssystems zielenden medialen Strategien zu erforschen. Was das zeitweise Pendeln angeht, führt Ulrike Weckels Aufsatz über die Presserezeption von Wolfgang Staudtes DEFA-Film DER UNTERTAN (1951) und seine beiden in der Bundesrepublik gedrehten Filme ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (1959) und KIRMES (1960) die Gehässigkeit vor Augen, der Staudte im Westen begegnete, weil er ein Grenzgänger gewesen war, sich nicht dem Freund-Feind-Denken unterwarf und mit seinen zeit- und vergangenheitskritischen Filmen an Tabus rührte. Wie allergisch man in der Bundesrepublik zu Zeiten des Koreakriegs, als der Kalte Krieg plötzlich sehr heiß wurde, auf Kritik am Militär und der geplanten Wiederbewaffnung reagierte, zeigt besonders deutlich die Zensur von DER UNTERTAN und dessen mehrjähriges Aufführungsverbot. (Mehr dazu in Michael Griskos Buch „Der Untertan“ – revisited. Vom Kaiserreich zum geteilten Deutschland, 2007). Den Kriegsfilmen, die aus Hollywood im Zuge der Reeducation in die westdeutschen Kinos kamen, standen in der SBZ und der DDR Kriegsfilme aus der Sowjetunion gegenüber. Einerseits wurden sie von offizieller Seite aus als Zeugnisse einer siegreichen Weltanschauung protegiert und sollten in Deutschland mithelfen, antisowjetische Ressentiments abzubauen. Andererseits widersprachen besonders die heroisierenden Schlachtengemälde der Stalin-Zeit dem Ideal des Antimilitarismus, dem sich die ostdeutsche Volksbildung zumindest in den frühen Nachkriegsjahren verpflichtet sah. Die daraus resultierenden Reibungen, die Spielplanpolitik und den Wandlungsprozess im sowjetischen Kriegsfilm nach Stalins Tod untersucht Lars Karl anhand amtlicher Quellen und der Presse. Karls Augenmerk gilt unter anderem DER FALL VON BERLIN (PADENIJE BERLINA, 1949), DIE KRANICHE ZIEHEN (LETJAT SCHURAWLI, 1957), DIE BALLADE VOM SOLDATEN (BALLADA O SOLDATJE, 1959) und IWANS KINDHEIT (IWANOWO DETSTWO, 1962). Ob die russischen Fassungen für den Einsatz in der DDR geschnitten wurden, geht aus den Ausführungen leider nicht hervor. Ein künstlerisch neuartiger Film wie DIE KRANICHE ZIEHEN mochte eine Tauwetterstimmung im Innern anzeigen. Eine Entspannung in der Systemkonkurrenz bedeutete dies aber nicht, wie Bernd Stöver am Beispiel von DEFA-Filmen über die amerikanische Liberation Policy – die Schwächung des kommunistischen Blocks durch Propaganda, wirtschaftlichen Druck und „verdeckte Operationen“ (Spionage, Umsturzversuche) – zeigt. Die konspirativen und aggressiven Züge der Liberation Policy sollten in den Filmen mithilfe von realen oder erfundenen Beweisen scheinbar objektiv dokumentiert wurden und damit wichtige Argumente für die DDR-Führung liefern, um etwa die Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 und den Bau der Mauer als Verteidigungsmaßnahmen hinzustellen. Zu diesen Filmen zählen die Krimis und Spionagefilme GEHEIMAKTEN SOLVAY (1953) und RESERVIERT FÜR DEN TOD (1963) sowie die „Mauerfilme“ DER KINNHAKEN (1962) und SONNTAGSFAHRER (1963). Der aufwendigste dieser Rechtfertigungsfilme war aber der in enger Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit entwickelte Titel FOR EYES ONLY (STRENG GEHEIM) (1963) von János Veiczi, in dem ein DDR-Agent den Plan für einem Angriffskrieg des Westens aufdeckt. Anhand geheimer Akten, Entwürfe und Werbematerialien zeichnet Stöver die hier vorgenommenen Manipulationen und Verfälschungen nach, die einen Zusammenschluss gegen den ideologischen Gegner bewirken sollten. Der im Zusammenhang dieser Sammelbesprechung interessanteste Beitrag stammt von Uta Schwarz und vergleicht die Berichterstattung über Industriethemen und Modethemen in der 1946 gegründeten DDR-Wochenschau DER AUGENZEUGE (AZ) und der 1949 gegründeten und seit 1951 im Eigentum des Bundes befindlichen NEUEN DEUTSCHEN WOCHENSCHAU (NDW) in den 1950er Jahren. Wie Fay, Brauerhoch und Horbrügger interessiert sich auch Schwarz besonders für die Darstellung von Geschlechterverhältnissen in den beiden Wochenschauen, von denen sich der AZ erklärtermaßen einer sozialistischen Parteilichkeit verpflichtete, während die NDW nach außen die Fiktion einer neutralen, unpolitischen Wochenschau vertrat. Besonders erhellende Beobachtungen macht Schwarz, die auch die Produktions-, Aufführungs- und Rezeptionskontexte berücksichtigt, beim Vergleich der Inszenierung ähnlicher Sujets. Die filmästhetischen Präferenzen lassen sich nämlich klar in Beziehung zu einer übergeordneten Intention und Ideologie setzen: Erkennbar wird die neuartige, an starke, aktive Personen geknüpfte Selbstdarstellung der Arbeiterschaft auf der einen und die Akzentuierung von repräsentativen Unternehmern und Politikern auf der anderen Seite; im Filmbild des Westens blieb der einzelne Arbeiter oder die Gruppe der Arbeiter auf Distanz zum Betrachter. Erscheinen aber die männlichen Arbeiter im AZ als emanzipiert und partnerschaftlich handelnde, ideologisch vorbildliche Figuren, so zeigt der Vergleich mit der Darstellung weiblicher Arbeiter ein hierarchisches Gefälle: Den gemeinsam am Fortschritt arbeitenden Männern sind Frauen nachgeordnet, die – wie auch in der NDW – im wesentlichen nur ausführende Tätigkeiten verrichten. Dadurch sei ein Widerspruch zwischen dem Auftrag an den AZ, für die Berufstätigkeit von Frauen zu werben, und der Bildsprache der Wochenschau aufgetreten. Ein Fazit: „Wenn der Darstellung der akklamierenden Arbeiter in der bundesrepublikanischen NDW […] jeder Überschuss an Emotion fehlt, dann artikulierte dies die politisch befriedigende, patriarchalische Kommunikationsstrategie der Adenauerschen Westwochenschau, und gleichzeitig übersetzte es den Rahmenkonsens der repräsentativen Demokratie, in der der Politiker um Zustimmung wirbt, über die das Volk als Souverän außerhalb des Films und der dargestellten Situation, nämlich an der Wahlurne, entscheidet. Das Pathos und die Militanz, mit dem der Kommentar im AZ sprach, unterlegte den Bildern hingegen den Auftrag, die Zustimmung der Arbeiterschaft zum Status Quo beweishaft vorzuführen, so als liege in der dokumentarischen Bilddarstellung physischer Akklamation die Quelle der Herrschaftslegitimation.“ (S. 231) Dass sich Schwarz im zweiten Teil ihres Aufsatzes auf die Berichterstattung über Modethemen konzentriert, ist eine gute Wahl, weil sie damit in den Bereich des Konsums vordringt, in dem die Systemkonkurrenz samt dem Buhlen um die Zustimmung in diesem Fall zumeist weiblicher Bürger besonders spürbar war. Für die DDR stellte die Mode freilich ein größeres Problem dar als für die Bundesrepublik, weil sie aufgrund ihrer Zyklen der kapitalistischen Logik der künstlichen Bedürfniserzeugung nahestand; zugleich legte die Mode Widersprüche zwischen dem Selbstbild als wirtschaftlich prosperierender Staat – quasi „Mode für alle“ – und dem mangelnden Angebot offen. Demgegenüber inszenierte die NDW Mode zumeist als Luxusartikel für Frauen, die nicht selbst arbeiteten und stattdessen von Männern erreichten Wohlstand repräsentierten. Mit dem Alltag berufstätiger Frauen oder Hausfrauen im Westen hatten solche Rollenentwürfe recht wenig zu tun. Schwarz zufolge sollte die Wirkungsmacht der beiden Wochenschauen im Sinne der Verhaltenssteuerung nicht überschätzt werden: So entwickelte sich die Frauenerwerbstätigkeit entgegen dem in den jeweiligen Wochenschauen propagierten Modell – im Westen stiegen immer mehr Frauen ins Erwerbsleben ein und im Osten wechselten immer mehr Frauen aus der vollen Erwerbstätigkeit über zur Teilzeitarbeit. Für die Filmgeschichte zwischen Kriegsende und Mauerbau und in einem weiteren Sinne auch für eine Filmgeschichte des Kalten Krieges erweisen sich die vergleichenden Perspektiven – ob nun deutsch-amerikanisch, deutsch-sowjetisch oder deutsch-deutsch – als ausgesprochen produktiv. (Mangelhaft ist allerdings, dass die Bücher von Brauerhoch, Horbrügger und Lindenberger allesamt kein Register besitzen und dadurch gezielte Recherchen in ihnen nicht möglich sind.) Die hier vorgestellten Bücher strahlen überdies aus auf die Forschung zum deutschen Film der 1950er Jahre, die gegenwärtig eine gründliche Revision erlebt. Dabei zeigt sich, dass unter dem vielbeschworenen Eskapismus speziell des bundesdeutschen Films der 1950er Jahre viele Themen verborgen liegen, die heute – nicht zuletzt von amerikanischen Forschern – neu entdeckt werden und zu einem differenzierten Bild einer höchst widersprüchlichen, für die Modernisierung des Staates gleichwohl wichtigen Epoche beitragen. Genau dieses Widersprüchliche, das Neben- und Ineinander von Modernisierung und Bewahrung, von Umbruch und Restauration erscheint hier als zeittypisch. Beispiele dafür, wie wenig das Kino in dieser Lage dem Erbe der nationalsozialistischen Herrschaft und des Weltkrieges, dem hochkochenden Ost-West-Konflikt und dem Wunsch nach einer neuen Identität entgehen konnte, finden sich zuhauf: Ein facettenreiches Bild davon haben jüngst die Sammelbände Framing the Fifties. Cinema in a divided Germany (2007) von Sabine Hake und John E. Davidson (rezensiert in Filmblatt 42, 2010, S. 199-121) und Mediale Mobilmachung III. Das Kino in der Bundesrepublik Deutschland als Kulturindustrie (1950-1962) (2009) von Harro Segeberg sowie Johannes von Moltkes No Place Like Home. Locations of Heimat in German Cinema (2005) und Hester Baers Dismantling the Dream Factory. Gender, German Cinema, and the Postwar Quest for a New Film Language (2009) entworfen. Nur angerissen sei abschließend der Gedanke, dass es zumindest aus heuristischen Gründen sinnvoll sein kann, den Fokus noch weiter weg vom Einschnitt des Jahres 1945 zu verlagern und zwar hin zu einer Beschreibung der Dekade 1940 bis 1950 als vielgestaltige und angesichts zahlreicher transnationaler Verflechtungen doch zusammenhängende filmgeschichtliche Einheit. Bausteine für eine derart anders konzipierte Filmgeschichte Europas liefern die von Johannes Roschlau herausgegebenen Tagungsbände Träume in Trümmern. Film-Produktion und Propaganda in Europa 1940–1950 (2009) und Im Bann der Katastrophe. Innovation und Tradition im europäischen Kino 1940–1950 (2010).
Jennifer Fay: Theaters of Occupation. Hollywood and the Reeducation of Postwar Germany. Minneapolis: University of Minnesota Press 2008, 229 Seiten, Abb.
ISBN 978-0-8166-4745-3, $ 22,50
Annette Brauerhoch: ,,Fräuleins“ und GIs. Geschichte und Filmgeschichte. Frankfurt am Main, Basel: Stroemfeld/Nexus 2006, 533 Seiten, Abb.
ISBN 3-86109-170-4, € 28,00
Anja Horbrügger: Aufbruch zur Kontinuität – Kontinuität im Aufbruch. Geschlechterkonstruktionen im west- und ostdeutschen Nachkriegsfilm von 1945 bis 1952. Marburg: Schüren Verlag 2007, 279 Seiten, Abb.
ISBN 978-3-89472-493-1, € 24,90
Thomas Lindenberger (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2006, 286 Seiten, Abb.
ISBN 3-412-23105-3, € 39,90
Philipp Stiasny ist freischaffender Filmhistoriker. Lehrt Filmgeschichte an der FU Berlin und kuratiert die Filmreihe „Die Freunde des schrägen Films“ im Kino Babylon in Berlin. Mitglied von CineGraph Babelsberg und Redakteur von Filmblatt. Autor von Das Kino und der Krieg. Deutschland 1914-1929 (München 2009).
Filmblatt 43 – Besprechungen online
Veröffentlicht am 9.11.2010
Redaktion: Ralf Forster, Michael Grisko, Philipp Stiasny, Michael Wedel
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