Es sind die vermeintlichen Randerscheinungen und Nebenfiguren der Filmgeschichte, an denen sich historische Dynamiken zuweilen am anschaulichsten abzeichnen. Der Kameramann Rolf Michael Kneller mag, gemessen an seinem Filmschaffen in Deutschland, als zu vernachlässigende Größe erscheinen. Wie Hillel Tryster in seinem biografischen Essay zeigt, entwickelte sich der Emigrant in Palästina und Israel jedoch zu einer zentralen Figur in Film und Fernsehen und konnte dabei nicht zuletzt von seinen prägenden ersten beruflichen Erfahrungen bei der Ufa profitieren. Auf der Grundlage von Gesprächen erinnert Tryster an den Lebensweg eines deutschen Exilanten, dem es 1961 zufiel, den Eichmann-Prozess mit der Kamera zu begleiten.
Am Beispiel des Filmkomponisten Kurt Schwaen und seiner Musik für Heiner Carows DAS LEBEN BEGINNT (1960) sowie der technisch experimentellen Opernverfilmung DER FLIEGENDE HOLLÄNDER (1961) beleuchtet Günter Agde Facetten der noch wenig erforschten musikalischen Dimension im DEFA-Film der 1960er Jahre. Die Rolle des Skandals im Film und um einen Film der 1920er Jahre verbindet die Aufsätze von Jürgen Kasten und Kai Nowak. Kasten unterzieht die mit den Namen Lupu Pick und Carl Mayer suggerierte Nähe von GRAUSIGE NÄCHTE (1921) zum Kammerspielfilm einer kritischen Würdigung. Es ist nicht nur der exaltierte, ja skandalöse Kernkonflikt, in dem sich ein krimineller Liliputaner als halbwüchsiger Adoptivsohn einer vom Kinderwunsch beseelten Frau ausgibt, mit dem sich der Film von anderen Projekten Picks und Mayers jener Zeit absetzt. Skandalös erschien den Bayerischen Behörden 1929 auch Wilhelm Dieterles Filmporträt LUDWIG DER ZWEITE, dessen öffentliche Diskussion und Zensurgeschichte Nowak nachzeichnet.
Einblicke in die kulturellen Aneignungsprozesse und politischen Implikationen der Sprachsynchronisationspraxis zu Beginn der NS-Zeit gewähren Patrick Vonderau und Chris Wahl in ihren detaillierten Analysen der ersten deutschen Fassungen von KING KONG (1933) und IT HAPPENED ONE NIGHT (1934).
Jeanpaul Goergen stellt das Zweifarbenverfahren Ufacolor der Jahre 1931 bis 1940 vor. Mit dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der Anfang der 1970er Jahre Drehbücher und Kommentare für eine Reihe von DEFA-Dokumentarfilmen verfasst hat, lernen wir im Beitrag von Ralf Schenk eine weitere „Randfigur der Filmgeschichte“ kennen…
Weitere Buchbesprechungen finden sich diesmal auch auf unseren InternetSeiten cinegraph-babelsberg.de und filmblatt.de. – Anke Wilkening spürt im sechsten Band der Filmblatt-Schriften über Filmgeschichte und Filmüberlieferung den Versionen von Fritz Langs Spione von 1928 nach. (Michael Wedel)
Berlin, den 20. September 2010