„Als der Krieg zu Ende war, kamen die Kriegsfilme“, stellt Gunter Groll am 6. Januar 1954 in der Süddeutschen Zeitung fest. „Es gab ein paar gute und richtige, aber die meisten, noch ohne äußeren Abstand und innere Freiheit, bedienten sich einer vergrößernden oder verkleinernden Optik. Die einen, vorwiegend Siegerfilme, klirrten vor lauter Triumph oder atmeten leise, doch demonstrativ aus jedem Nasenloch Stolz und stilles Heldentum. (Und wir wußten: so war es nicht.) Die anderen, vorwiegend Besiegtenfilme – im vorerst noch nach- oder vorheroischen Stadium –, stöhnten vor lauter Jammer oder ließen leise, doch demonstrativ aus jedem Ruinenloch Schuld und Erneuerung wehen. (Und wir wußten: so war es auch nicht.) Es dauerte seine Zeit, bis die gerechten Kriegsfilme kamen.“
Ein gerechter Kriegsfilm, einer, der in den deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs nicht nur entweder Täter oder Opfer sieht, der deutlich gegen den Krieg und für die Völkerversöhnung eintritt, der realistische Genauigkeit mit symbolischer Überhöhung verbindet, war für Groll DIE LETZTE BRÜCKE (1954) von Helmut Käutner. Seither ist viel gesagt und geschrieben worden über die Art und Weise, wie speziell das westdeutsche Kino der 50er Jahre den Zweiten Weltkrieg, die nationalsozialistische Diktatur und den Holocaust dargestellt hat. Die Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit fand nicht allein im Kriegsfilm statt. Vielmehr wurde die Frage nach dem eigenem Anteil und der eigenen Verstrickung, nach Schuld, Verdrängung und Erinnerung auch in weniger politisch aufgeladenen Genres bewusst oder unbewusst aufgeworfen. Um solche Fragen kreisen die vier Aufsätze, die den Schwerpunkt dieser FILMBLATT-Ausgabe bilden.
Günter Agde analysiert den deutsch-deutschen Streit um die thematisch miteinander verwandten Arzt- und Kriegsheimkehrerfilme DIE GROSSE VERSUCHUNG (BRD 1952) und GENESUNG (DDR 1956). Philipp Stiasny widmet sich der ziemlich seltsamen Verwandlung eines französischen Soldaten in einen teutonischen Nationalisten in der deutsch-französischen Koproduktion DAS ZWEITEN LEBEN (BRD/F 1954). Tobias Ebbrecht zeichnet am Beispiel von … WIE EINST LILI MARLEEN (BRD 1956) nicht nur die Rezeptionsgeschichte eines geradezu mythischen Schlagers nach, sondern auch die Meinungsverschiedenheiten über die angemessene Form von filmischen Kriegserinnerungen. Alle drei Aufsätze präsentieren Fallstudien zu Filmen, die die Kriegszeit und die Nachkriegszeit eng aufeinander beziehen. Dabei verkörpert die mal zentrale, mal nur am Rande auftretende Figur des Heimkehrers den Einbruch einer unbequemen Vergangenheit in die Gegenwart. Wolfgang Staudte war der neben Käutner künstlerisch und moralisch herausragende Regisseur der 40er und 50er Jahre. Mit seinem letzten Kinofilm ZWISCHENGLEIS (BRD 1978) befasst sich Ralf Schenk. Nach Jahrzehnten kehrt Staudte hier zu seinen Ursprüngen zurück und klagt eine Zeit der Lüge und Verdrängung an. Wie resümiert Gunter Groll 1954: „Wir haben ein schlechtes Gedächtnis. (Und jeder hat ein anderes.)“
Das Weimarer Kino bildet den zweiten Schwerpunkt dieser Ausgabe. Die Geschichte des vor achtzig Jahren gegründeten Volksfilmverbandes war eine der großen Hoffnungen und der großen Enttäuschungen. Unterstützt von zahlreichen prominenten Linksintellektuellen trat der Volksfilmverband an, um für den künstlerischen Film und gegen den Kommerzfilm zu kämpfen, um Filmbildung in die Gesellschaft zu tragen und den Film als Medium der Kritik und der Reflexion zu fördern. Das ehrenwerte Experiment scheiterte, und der Kreis der Unterstützer zerbrach, weil der Volksfilmverband immer stärker durch die KPD instrumentalisiert wurde, wie Kai Nowak darlegt. Ergänzend beleuchtet Thomas Tode den Fall des sowjetischen Dokumentarfilms DAS DOKUMENT VON SHANGHAI (1928), den der Volksfilmverband recht unverfroren für eigene Zwecke umarbeitete.
Zu den geradezu mythisch verklärten Persönlichkeiten der 20er Jahre zählt heute der Konstrukteur Hugo Junkers. Ralf Forster zeigt, dass Junkers’ Produktdesign einerseits von Vertretern der Avantgarde geprägt wird, seine in die Breite wirkenden Werbefilme sich jedoch andererseits durch ein bemerkenswertes Spagat zwischen Innovation und Tradition auszeichnen.
Ein schönes Beispiel für das vom Volksfilmverband geächtete Mainstreamkino stellt Claudia Preschl vor: Richard Eichbergs Komödie DER FÜRST VON PAPPENHEIM (1927) mit Curt Bois in der Hauptrolle bietet inmitten eines Genrekinos mit klischeehaften Geschichten und routinierten Inszenierungen Raum für ein befreiendes Lachen jenseits der eingefahrenen Geschlechterzuschreibungen.
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Philipp Stiasny, 26. September 2008