An einem Wintertag des Jahres 1961 nimmt sich die 31jährige Anna Eichmayr in München das Leben. Auf der Suche nach den Ursachen für diesen Suizid führt der Film ins Jahr 1945, erzählt von der panischen Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, vom Tod des kleinen Bruders, von der Ankunft in Bayern, der Liebe zu einem amerikanischen Besatzungsoffizier. Doch dann heiratet Anna, voller Sehnsucht nach Geborgenheit und finanzieller Sicherheit, einen spießigen deutschen Beamten. Die neunjährige Ehe wird immer mehr zum Martyrium…
In seinem letzten Kinofilm kehrte Wolfgang Staudte noch einmal in die Zeit und zum Themenkanon seiner berühmtesten Werke wie DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, ROTATION, ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT, KIRMES oder HERRENPARTIE zurück: die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, die deutsche Schuld, die Verstrickung des Einzelnen in die Netze der Geschichte. „Es war für mich wichtig, statt der wirklichen Ruinen die inneren Ruinenlandschaften zu zeigen“, erklärte der Regisseur nach der Premiere. – Die Kritik zeigte sich zwiegespalten: „In sehr authentischen Bildern“, schrieb Peter Buchka in der Süddeutschen Zeitung (16.2.1979), „beschwört Staudte jene ambivalente Atmosphäre des Wiederaufbaus, und er entfaltet, durchaus subtil und komplex, eine Moral der deutschen Politik an einem offensichtlich ohnmächtigen Individuum. Dieser Film, das spürt man in ein paar glückhaften Momenten ganz deutlich, hätte durchaus das Gegenstück oder die Fortschreibung vom UNTERTAN werden können – ein großer Historienbogen, ein großer Altersfilm, wie man ihn sich gerade von Staudte gewünscht hätte.“ Doch ZWISCHENGLEIS leide an einer mangelnden dramaturgischen Verdichtung und an fehlendem Geld. Buchkas Resümee: „Wäre Staudte nicht mit billigen Fernsehkrimis abgespeist worden, er wäre heute sicherlich eine unbestrittene Vaterfigur für den neuen Film. So aber ist die ästhetische Erntwicklung an ihm vorbeigegangen. Und das ist vielleicht das Traurigste an diesem Film: denn eigentlich können wir uns immer noch nicht leisten, einen Mann von den Kenntnissen und der moralischen Position eines Wolfgang Staudte im Abseits stehen zu lassen.“
ZWISCHENGLEIS lief während der Berlinale und auf anderen internationalen Filmfestivals, so in Moskau und Montreal. Dennoch erreichte er im Kino nur wenige Zuschauer, wurde zu einer der großen unbekannten Arbeiten Staudtes. Im Nachtrag zum 100. Geburtstag des Regisseurs im vergangenen Oktober zeigen wir das noch immer streitbare Werk in der Reihe WIEDERENTDECKT.
Einführung: Ralf Schenk
ZWISCHENGLEIS (BRD 1978, R: Wolfgang Staudte, D: Hannelore Schroth, Volkert Kraeft, Mel Ferrer, Pola Kinski, Martin Lüttge), 110‘
Kopie: Bundesarchiv-Filmarchiv
Am 7. September 2007, 19.00 Uhr, im Zeughauskino