Der Film entwirft eine Parabel des explodierenden sozialen Spektrums der Weimarer Nachkriegsjahre. Emil Raffke, in dessen Rolle Werner Krauß ein denkwürdiges Kabinettstückchen seiner Schauspielkunst abliefert, und seiner Frau – Lydia Potechina, sichtlich in ihrem Element – schwebt als zukünftiger Gatte ihrer Tochter (Lee Parry) ein den finanziellen Wohlstand aufs Schönste veredelnder Baron vor, der auch noch „von Geldern“ heißt und vom jungen Hans Albers mit einer bemerkenswerten Portion Gemeinheit ausgestattet wird. Das Fräulein entscheidet sich jedoch für einen mittellosen Angestellten (Harry Hardt), mit dem sie, von ihren Eltern zeitweilig verstoßen, ein Kind kriegt, das schließlich die Versöhnung bringt.
Siegfried Kracauer, der dem Film zugute hielt, dass er „auch dort zu lachen gibt, wo man vielleicht nicht nur lachen sollte“, sah in ihm den neuen Sozialtypus des „Raffke“ erstmals zu seinem Recht gekommen: „der über Nacht reichgewordene Mann aus dem Volk mit gesunden Säften, ein Kerl, der lebt und leben läßt und von seinem Reichtum auf eine entzückend barbarische Weise Gebrauch macht. Werner Krauß verleiht ihm die Züge eines Menschen. (…) Dieser große Schauspieler verwirklicht sogar das Unglaubhafte: er entwächst für wenige Augenblicke der Sphäre des Nur-Komischen und breitet über Raffke (…) einen Schimmer von Tragik aus“ (Frankfurter Zeitung, 14.10.1923). In Sowjet-Russland kam der Film auch im Rahmen anti-kapitalistischer Propaganda zum Einsatz.
Einführung: Philipp Stiasny
FRÄULEIN RAFFKE (D 1923, R: Richard Eichberg, D: Lee Parry, Werner Krau, Hans Albers, Lydia Potechina, Harry Hardt)
Kopie: Bundesarchiv-Filmarchiv
Am 7. Juli 2007, 21.00 Uhr, im Zeughauskino