04.11.2005, im Zeughauskino.
Historische Jubiläen waren in Ost und West stets willkommene Anlässe, Geist und Bedeutung des berufenen Ereignisses für sich zu vereinnahmen und die Erinnerung daran so zu inszenieren, dass die Historie der Gegenwart Recht und damit Kredit für die Zukunft gab. Im Nachkriegs-Ostdeutschland organisierte man 1948 eine medial breit angelegte Erinnerung an die früh-revolutionären Ereignisse von 1848: soziale Unruhen als erste Anzeichen der stürmisch beginnenden industriellen Entwicklung in Deutschland und als Keime gesellschaftlicher Veränderungen. Sie manifestierten sich als scharfer Gegensatz zwischen monarchischem und bürgerlichem Denken. Im dritten Jahr nach Kriegsende war in Ostdeutschland die Berufung darauf nicht ohne tiefere Bedeutung: die beginnende Stalinisierung der SBZ stand merklich allen frühbürgerlich-demokratischen Forderungen nach Meinungsvielfalt entgegen. Autor und Regisseur Gustav von Wangenheim hatte bereits in den 30er Jahren im sogenannten „Schlöffel“-Stoff die Figur eines jungen, wortgewandten Studenten-Journalisten fabuliert, der in den Wirren jenes Jahres 1848 in Berlin mutig, lebhaft und erfolgreich für die Ideale von Meinungsfreiheit und Offenheit eintritt. Wangenheims Texte lassen sich auch als Versuche lesen, im Moskauer Exil wenigstens für sich selbst den Stalinschen Terror durch Beschwörung frühbürgerlicher Ideale zu unterlaufen. Mit dem DEFA-Film nutzte er nun – durchaus öffentlichkeitswirksam – die Konjunktur des hundertsten Jahrestags, um seine Version vorzulegen, die freilich nur soweit gehen konnte, wie Ideologie und Zensur in der SBZ es gestatteten.
Vorfilm: Der Augenzeuge Nr. 96 /1948
Einführung: Günter Agde