06.05.2005, im Zeughauskino.
In seinem Erfolgsroman aus dem Jahre 1913 hatte Bernhard Kellermann unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine utopische Vision moderner Völkerverständigung entworfen: Betreibt seine Hauptfigur, der Ingenieur Mac Allen, doch das gigantische Projekt, den amerikanischen und europäischen Kontinent durch einen subatlantischen Tunnel miteinander zu verbinden. Stollenunglücke mit Tausenden von Toten, regelmäßige Streikandrohungen und Sabotageakte aufgewiegelter Arbeiter werfen den Bau immer wieder zurück, hinterhältige Finanzspekulationen und eine sich zunehmend gegen das Vorhaben wendende Medienberichterstattung unterminieren seine Fertigstellung bis zuletzt. Am Ende – vierundzwanzig Jahre sind vergangen – werden durch die Kraftanstrengung von Mensch und Maschine die Stollen zueinander geführt, reichen sich der unbeirrbar an seinem Ziel festhaltende Mac Allen und sein deutscher Kollege unterhalb des Meeresgrundes die Hand. Kurt Bernhardts als französisch-deutsche Koproduktion aufwändig hergestellte Tonfilm-Verfilmung setzt die Stoffvorgabe von Kellermanns fantastisch-utopischer Gesellschaftsparabel in grandiose Bilder und beeindruckende Toneffekte um. Bis heute gilt die mit Paul Hartmann in der Hauptrolle sowie weiteren Stars hochkarätig besetzte Verfilmung als eine der gelungensten deutschen Science-Fiction-Produktionen der dreißiger Jahre. Die kulturhistorischen Deutungen allerdings fallen zwiespältig aus. Die einen sehen den Film als Beispiel für die Mobilisierung und Instrumentalisierung (gesellschafts-)utopischen Ideenguts im Zeichen von nationalsozialistischem Heldenpathos, andere – nicht zuletzt Bernhardt selbst, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft lediglich mit einer Sondergenehmigung des Propagandaministeriums noch einmal in Deutschland drehen durfte – verstehen ihn als Plädoyer für den „internationalen Frieden und das Heldentum der Arbeiterklasse“. Über seinen unmittelbaren Unterhaltungswert hinaus brechen sich in Kurt Bernhardts Der Tunnel damit auf einzigartige Weise die gesellschaftspolitischen Spannungen seiner Zeit.
Einführung: Michael Wedel